Landesgemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz

LNV-Stellungnahme: Förderung Öffentlicher Verkehr (60%) zum Motorisierten Individualverkehr (40%) nicht ausreichend

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Grundsätzliche Anmerkungen

1) Der LNV anerkennt positive Elemente des Gesetzentwurfs, wie sie u.a. in der Pressemitteilung und Begründung zum Entwurf ausführlich hervorgehoben werden. Diese positiven Elemente sind umso mehr erwähnenswert, als bekanntlich die Positionen der Koalitionsparteien auf den Handlungsfeldern Verkehr und Klimaschutz weit auseinanderliegen und – verzeihen Sie das offene Wort – beide Parteien hier nicht immer konsistente Linien verfolgen; nicht nur nach Wahrnehmung von Umweltverbänden treten die Regierungsparteien oft auch als wechselseitige Opposition in der Koalition auf. So gesehen ist das Gesetz als ein Schritt in die richtige Richtung zu werten; der Schritt wird aber dem Handlungsdruck (insbesondere Klimaschutz, Luftreinhaltung, Verbesserung der Lebensqualität an Verkehrswegen) nicht ausreichend gerecht.
2) Als zentrales Förderinstrument der kommunalen Verkehrsinfrastruktur wird die Ausgestaltung des neuen LGVFG künftig maßgeblich darüber entscheiden, ob es gelingt, eine zukunftsfähige Entwicklung der Städte, Gemeinden, Landkreise und damit des Landes durch Schaffung eines menschen- und umweltgerechten Verkehrs zu fördern, unter Einschluss der Erhöhung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum.
Zu den rechtlich verbindlichen Vorgaben hierfür gehören insbesondere
a) EU-Normen zur Luftreinhaltung und zum Schutz vor Lärm und
b) die Ziele des Klimaschutzes gemäß dem völkerrechtlich bindenden Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015.
Diese supranationalen Normen binden zwar zunächst nur die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesländer sind aber als deren Gliedstaaten ebenfalls in der Pflicht, im Rahmen ihrer Rechtssetzung und Staats- sowie Verwaltungspraxis die Einhaltung dieser Vorgaben wirksam zu befördern. Dazu gehört, dass sie die Kommunen im Sinne dieser Vor-gaben ausstatten.
Aus gutem Grund nennt das Pariser Abkommen auch die wichtige Rolle der Städte, Regionen und Behörden auf regionaler und kommunaler Ebene bei der Bekämpfung des Klimawandels.

Vor diesem Hintergrund reichen die nun mit dem Entwurf zum LGVFG vorgestellten Regelungen und vorgesehenen Mittel bei weitem nicht aus. Erforderlich sind weitere Regelungen im LGVFV (nachstehend III) und weitere innovative Regelungen (untenstehend IV). Gerade Baden-Württemberg muss für den Klimaschutz einen besonderen Beitrag innerhalb des Bundesgebietes leisten. Liegt doch die Veränderung der Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors in Baden-Württemberg gegenüber 1990 mit rund plus 11 % im bundesweiten (diesmal negativen) Spitzenfeld; und damit weit über dem ebenfalls enttäuschenden Wert des Bundes (plus/ minus Null gegenüber 1990). Zur Erinnerung: Das Land wollte seine CO2-Emissionen im Verkehrssektor zwischen 1990 und 2020 um 20-25 % senken. Die Zielverfehlung liegt also bei 31 bis 36%.
Eine wesentliche Ursache dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre internationalen Klimaschutzverpflichtungen nicht erfüllt, liegt darin, dass im Verkehrsbereich die Emissionen aus dem Ruder gelaufen sind. Dafür tragen auch die Bundesländer eine wesentliche Verantwortung. Ungeeignete oder gar kontraproduktive Rahmenbedingungen sind zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich eine Frage des Bundesrechts.
(Zur Klarstellung und damit Sie sehen, dass wir nicht nur kritisieren: Im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist vieles besser geworden; und wo es hakt, liegen die Ursachen außerhalb des unmittelbaren Einwirkungsbereichs des Verkehrsministeriums.)

3) Wir bitten um Zusendung des im Vorblatt des Gesetzentwurfs genannten vollständigen Nachhaltigkeitschecks, um nachvollziehen zu können, wie dieser den im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen durchweg positive Auswirkungen bescheinigen kann.

Anmerkungen zu einzelnen Regelungen

4) Quotelung Öffentlicher Verkehr (ÖV) = Umweltverbund / Straßenbau
Für eine klima- und menschengerechte Verkehrsentwicklung bedarf es im LGVFG-Finanzierungssystem eines entschlosseneren Umsteuerns zugunsten des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). (Hinweis: Soweit im Folgenden der Begriff ÖPNV verwendet wird, ist darin auch der gesamte Umweltverbund einschließlich Rad- und Fußverkehr gemeint.)
Angesichts der in zahlreichen Rechtsgebieten (StVO, Steuerrecht, Förderrecht, zum Teil Bau- und Bauordnungsrecht) über viele Jahrzehnte währenden Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) muss der öffentliche Verkehr durch massive Förderung endlich aufholen können. Dies erfordert, dass in den öffentlichen Verkehr deutlich mehr Geld fließt als in den motorisierten Individualverkehr. Um die Benachteiligung auszugleichen, müsste eigentlich über mindestens 10 Jahre hinweg die Förderung des motorisierten Individualverkehrs weitestgehend ausgesetzt werden, abgesehen von Erhaltungsaufwendungen.
Uns ist klar, dass diese Forderung trotz aller Logik im politischen Raum noch keine Aussicht auf Erfolg hat.
Wir fordern aber eine Quotelung von 80 % zu Gunsten des öffentlichen Verkehrs und 20 % für den MIV/Straßenverkehr. (Auch dann würde es noch über 20 Jahre dauern, bis die bisherige Benachteiligung des ÖV einigermaßen ausgeglichen wäre und der öffentliche Verkehr aufgeholt hätte.)
Wir müssen uns auch alle vor Augen halten: Mit einer solchen Quotelung würden – erstens – Investitionen zugunsten des MIV selbstverständlich nicht untersagt. Sie würden lediglich in Relation zum ÖPNV weniger als bisher nach dem LGVFG gefördert. Und – zweitens – bedeutet diese Quotelung von 80% ÖV zu 20 % MIV/Kommunaler Straßenbau immer noch eine Beibehaltung des absoluten Betrags des bisherigen Fördervolumens für den Straßenverkehr. Grund: die annähernde Verdoppelung des Gesamtvolumens zur Förderung kommunaler Verkehrsprojekte.
Für eine solche Quotelung 80/20, welche die seit rund 70 Jahren bestehende finanzielle Benachteiligung des ÖV einigermaßen mildert, sprechen auch die Gebote der haushalterischen Vernunft und das Gebot sparsamen und widerspruchsfreien Mitteleinsatzes. Es ist ineffektiv, parallel zur ÖV-Förderung weiterhin viel Steuergeld in Straßenbau für motorisierten Individualverkehr zu stecken und damit die ÖV-Investitionen u.U. geradezu zu konterkarieren. Eigentlich müsste eine solche Förderungspraxis auch vom Rechnungshof kritisch hinterfragt werden.

5) Zu § 1 Zuwendungen des Landes
§ 1 sollte folgende Fassung erhalten:
„Zuwendungen des Landes; Zweck des Gesetzes
(1) Ziel der Zuwendungen ist die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und der damit im Zusammenhang stehenden Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum in den Gemeinden im Sinne einer nachhaltigen, klimafreundlichen und menschengerechten Mobilität.

6) Zu § 2 Nr. 15 (neu)
Wir bitten, bei der Förderung intermodaler Güterverkehrsschnittstellen reine LKW- zu LKW-Umschlagplätze ausdrücklich auszuschließen.
Allgemein: Neue oder wieder aufgenommene Fördertatbestände, die dem Straßenbau zu Gute kommen, dürfen aus LNV-Sicht nicht aus dem Topf des Umweltverbundes finanziert werden. So sind beispielsweise Wiedervernetzungsmaßnahmen an Straßen ausschließlich aus dem Straßentopf zu finanzieren. Intermodale Güterverkehrszentren sind ebenfalls zumindest anteilig aus dem Straßentopf zu finanzieren.

7) Zu § 2 Nr. 16 (neu)
So wie wir den Gesetzentwurf verstehen, besteht zum Nachteil des ÖPNV eine Ungleichbehandlung von Ertüchtigung/Ersatzneubau von Straßenbrücken und ÖPNV-Grunderneuerungsmaßnahmen: Bei der Brückensanierung gelten keine weiteren Förderkriterien, während bei ÖPNV-Grunderneuerungsmaßnahmen diese nur förderfähig sind, wenn sie der Verkehrssicherheit oder Verkehrsbeschleunigung dienen. Wir bitten, die einschränkenden Kriterien beim ÖPNV zu streichen.

8) Zu § 4 Förderhöhe
In § 4 Abs.1 am Ende wird folgender Satz 4 angefügt:
Eine Förderung von bis zu 65% der förderfähigen Kosten kann gewährt werden für Vorhaben des § 2 Nr. 1 a und g, wenn und soweit bei diesen bei der Verteilung der Verkehrsflächen zwischen motorisiertem Individualverkehr einerseits und Fuß- sowie Radverkehr andererseits letzteren ein hoher abgetrennter Anteil (i.d.R. mehr als 50%) an der gesamten Verkehrsfläche zugewiesen wird; gleiche Fördermöglichkeit gilt für Formen der Mischnutzung von Verkehrsflächen (verkehrsberuhigter Bereich gemäß Zeichen 325.1 der StVO), durch Shared Space oder durch Begegnungszonen; hierbei ist, wenn nicht Zeichen 325.1 der StVO zur Anwendung kommt, neben baulichen und straßengestalterischen Maßnahmen zur Geschwindigkeitsdämpfung in der Regel auch eine Begrenzung der höchstzulässigen Geschwindigkeit von maximal 20 km/h vorzusehen.

9) Wir bitten um Prüfung, ob nicht auch Maßnahmen für den Schienengüterverkehr gefördert werden sollen wie Erhalt und Ausbau kommunaler Industriegleise, Schienenanschluss von Gewerbegebieten, Ladegleise an Stätten des Rohstoffabbaus.
Alternative wäre eine baldige Aufwertung des Landeseisenbahnfinanzierungsgesetzes (LEFG) in diesem Sinne, insbesondere eine deutliche Höherdotierung.
Außerdem sollte das Land eine Initiative gegenüber dem Bund ergreifen, damit dieser sein wenig bekanntes und, soweit ersichtlich, wenig genutztes Gleisanschlussprogramm stärker in das Zentrum seiner Bemühungen zur Verlagerung von Verkehr auf die Schiene rückt und die Wirtschaft entsprechend motiviert.

10) Bei Erneuerungsmaßnahmen ist generell zu prüfen, ob die Breite einer Straße noch nötig ist oder Verkehrssicherheit und Verkehrsaufkommen auch bei einer schmäleren Trasse gegeben wären. Bei wenig befahrenen Gemeindeverbindungsstraßen sollte generell auch die Entwidmung hin zu einem Feldweg geprüft werden. Die Praxis der Gemeinden hinsichtlich der Klassifizierung ist sehr uneinheitlich, was auch an Unterhaltsmitteln für klassifizierte Straßen liegt.

11) Wir bitten sicherzustellen, dass keine Straßen mit überörtlicher Funktion aus dem LGVFG gefördert werden. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Fälle von überörtlichen Straßen, die als Kommunalstraße gebaut wurden, um z.B. ein Planfeststellungsverfahren zu vermeiden. Nach Fertigstellung wurden sie dann heraufgestuft.

Erfordernis wirksamer innovativer und kommunalfreundlicher Regelungen

Der LNV beantragt eine ausreichende Finanzierungsgrundlage und Würdigung der kommunalen Selbstverwaltung im Verkehr zu schaffen. Das Mittel der Wahl ist die Einführung einer Nahverkehrsabgabe in einem „Gesetz zur Ermächtigung der Städte und Gemeinden zur Erhebung einer Nahverkehrsabgabe“ (durch kommunale Satzung).
Nach dem Pariser Klimaschutzübereinkommen vom 12.Dezember 2015 sollen auch Städte und Regionen ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Damit stehen sie auch im Verkehrssektor besonders in der Pflicht, wo bisher kaum Erfolge erzielt wurden. Also muss mehr geschehen. Auch die von der Bundesregierung für 20. September angekündigten Schritte zum Klimaschutz können die notwendigen kommunalen Maßnahmen nicht abdecken.
Es ist bekannt, dass eine Nahverkehrsabgabe zwischen den Koalitionsparteien umstritten ist. Wir erinnern daran, dass der Gedanke einer Nahverkehrsabgabe 1991 unter der Führung des leider viel zu früh verstorbenen ersten Verkehrsministers dieses Landes Thomas Schäuble entstand. Eine Nahverkehrsabgabe wurde auch vom früheren OB Manfred Rommel befürwortet. Das Konzept verdient es, ohne Vorbehalte wieder aufgegriffen zu werden.

Eine Nahverkehrsabgabe ist landesrechtlich möglich. Sie würde den Kommunen das Recht geben (nicht die Pflicht), in eigener Verantwortung über Finanzierungsgrundlagen, Ausbau-Perspektiven und qualitative Aufwertung des öffentlichen Verkehrs und damit über eine Hebung der Lebensqualität in Stadt und Land zu entscheiden. Eine Autofeindlichkeit ist damit nicht verbunden. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten im Gegenzug für ihre – vergleichsweise geringe – Abgabe auch Vorteile: einen preiswerteren attraktiveren öffentlichen Verkehr, lebenswertere Städte, Verbesserung des öffentlichen Verkehrs auch im ländlichen Raum, weniger Staus, was denjenigen zu Gute kommt, die tatsächlich auf das Auto angewiesen sind. Für den Wirtschaftssektor öffentlicher Verkehr werden Planungssicherheit und verstetigte (Finanz-)Rahmenbedingungen geschaffen.

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