Der Weg zum Naturnahen Wald

Die Forderungen des LNV zur Realisierung der Naturnahen Waldwirtschaft

Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV) legt mit diesem Positionspapier seine Forderungen an eine notwendige, bis heute fehlende Definition der guten fachlichen Praxis in der Waldbewirtschaftung vor (Kap. II). Die LNV-Positionen konkretisieren insofern den § 5 Abs. 5 BNatSchG .

Die Notwendigkeit für eine derartige Positionierung des LNV ergibt sich aus anstehenden Novellen der Waldgesetze (BWaldG, LWaldG BW), anhaltendem Artensterben auch in Waldlebensräumen und einer forstlichen Förderpolitik, die den Artenschutz nicht ausreichend berücksichtigt.

Ziel muss aus Sicht des LNV die naturnahe Waldbewirtschaftung sein (Kap. I), es sei denn, Artenschutz oder kulturhistorische Nutzungsformen sprechen dagegen. Die wichtigsten Rahmenbedingungen sind in den Kapiteln III bis VI dargestellt.

Es ist Aufgabe der Landesregierung, mittels Ordnungsrecht, Förderpolitik und Bildung/Beratung eine nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherzustellen, die den internationalen Verpflichtungen, das Artensterben aufzuhalten, nachkommt. Dies ist derzeit nicht gegeben, vor allem weil
• die Grundpflichten von Waldbesitzern weder ausreichend definiert noch mit Sanktionen oder Bußgeld bewehrt sind,
• es damit keine ausreichende Definition von Gemeinwohlpflichten gibt, obwohl die EU dies für ihre Förderung vorschreibt,

• die Vorgaben der naturnahen Waldbewirtschaftung nicht ausreichend definiert sind und nur für den Staatswald verbindlich gelten, obwohl auch Kommunalwald öffentlicher Wald ist,
• in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und notwendiger Energiewende zu Klimaschutzzwecken der Druck auf die Holznutzung massiv steigt, ohne dass Gemeinwohlbelange wie Artenschutz ausreichend abgesichert wären,
• die Förderpolitik entsprechend fast nur auf Arbeitsplatzerhaltung im Waldbereich ausgerichtet ist, ohne Anreize für den Artenschutz zu bieten,
• im Rahmen diverser Verwaltungsreformen die Personalkapazitäten für eine naturschonende Waldbewirtschaftung und eine entsprechende Beratung der Waldbesitzer so reduziert wurden, dass sie fehlendes Ordnungs- und Förderrecht noch weniger als bislang ersetzen können.

Das vorliegende LNV-Positionspapier erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern zielt darauf, die notwendigen Änderungen voranzubringen, die für eine echte Nachhaltigkeit im Wald, die auch die Biologische Vielfalt berücksichtigt, notwendig sind.

Grundsätze der Naturnahen Waldwirtschaft

Der LNV bekennt sich zu einer nachhaltigen und schonenden Nutzung des Rohstoffes Holz. Um diese Ziele zu erreichen, fordert der LNV das Land auf, folgende Grundsätze einer Naturnahen Waldwirtschaft verbindlich festzulegen:

1. Ziel der naturnahen Waldwirtschaft ist die Erhaltung und Schaffung von Wäldern mit hohen Anteilen standortsheimischer Baumarten. Maßstab ist die potentielle natürliche Waldgesellschaft unter Beachtung der sich ändernden Klimaverhältnisse. Angestrebt wird ein mehrstufiger, ungleichaltriger Waldaufbau.

2. Bei der Verjüngung erhält die Naturverjüngung Vorrang vor Saat und Pflanzung.

3. Die Jagd wird so ausgeübt, dass die Verjüngung und Entwicklung des Waldes durch Wildschäden nicht in Frage gestellt wird und den Belangen des Natur- und Artenschutzes Rechnung getragen wird.

4. Bei der Holzernte wird pfleglich vorgegangen. Altbestände werden einzelstammweise oder allenfalls kleinflächig genutzt.

5. Bei der Durchforstung werden nicht zu viele Bäume auf einmal entnommen. Der von der periodischen Betriebsplanung vorgesehene Durchforstungsturnus und die jeweils vorgesehenen Einschlagsmengen sind einzuhalten, es sei denn, außerordentliche Naturereignisse verhindern die Planerfüllung.
Auf flächiges Befahren der Waldböden wird verzichtet.

6. Auf Düngung als Mittel zur Ertragssteigerung, auf Entwässerungsmaßnahmen und andere Meliorationen wird verzichtet.

7. Pestizide und andere organische Pflanzenschutzmittel werden nicht eingesetzt.

8. Ökologisch wertvolle Waldränder werden gepflegt und erhalten und wo erforderlich neu aufgebaut.

9. Besonderen Schutz genießen:
• alte Bäume und Baumgruppen,
• Horst-, Höhlen- und andere Habitatbäume
• abgebrochene und beschädigte starke Bäume und Baumteile
• stehendes und liegendes Totholz insbesondere starker Bäume
• Weichlaubhölzer
• Sukzessionswälder
• standortsheimische seltene Baumarten, (z. B. Speierling, Elsbeere, Eibe, Schwarzpappel)
• Waldwiesen und Feuchtgebiete.

II.
Kriterien für die gute fachliche Praxis in der Waldbewirtschaftung

In Baden-Württemberg gibt es eine vielfältige Eigentümerstruktur und Eigentümerzielsetzung bei der Waldbewirtschaftung. Die nach Waldbesitzarten differenzierten Mindeststandards sind im LWaldG festgelegt. Zur Fortentwicklung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben fordert der LNV das Land auf, differenziert nach Waldbesitzarten, die gesetzlichen, personellen, organisatorischen und fördermäßigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die folgenden Kriterien der „guten fachlichen Praxis“ auf der gesamten Waldfläche des Landes umgesetzt werden können:

1. Die Wälder werden so bewirtschaftet, dass die regional typischen standortsheimischen Baumarten mit mindestens 60% am Bestand beteiligt sind.

2. Künstliche Verjüngung mit Hilfe von Saat oder Pflanzung erfolgt nur dann, wenn die natürliche Verjüngung keinen Erfolg verspricht. Bei künstlicher Verjüngung wird ausschließlich autochthones Saat- und Pflanzgut aus der Region verwendet. Gentechnisch verändertes Saat- und Pflanzgut wird nicht eingesetzt.

3. Kahlhiebe über 0,5 ha werden nicht vorgenommen. Ausnahmen sind von der Forstbehörde zu genehmigen. In Durchforstungsbeständen wird so schonend eingriffen, dass die Stabilität des Bestandes gesichert bleibt.

4. Die Wildbestände werden so reguliert, dass sich die standortsheimischen Baumarten (in der Regel) ohne Schutzmaßnahmen verjüngen lassen und Schälschäden vermieden werden.

5. Auf Düngung als Mittel zur Ertragssteigerung wird verzichtet.

6. Kalkungen zur Kompensation von schadstoffbedingter Versauerung im Oberboden werden nur dann vorgenommen, wenn eine Bodenuntersuchung zeigt, dass eine solche Maßnahme notwendig ist

7. Waldböden werden nur auf dafür eingerichteten Rückegassen und Maschinenwegen befahren. Bei der Neuanlage von Rückegassen wird ein Mindestabstand von 40 m eingehalten. Rückegassen und Maschinenwege werden dauerhaft markiert.

8. Beim Aus- und Neubau von befestigten Waldwegen wird die Wegedichte von 40 laufenden Metern pro ha nicht überschritten. Die Planung erfolgt im Einvernehmen mit der Forst- und Naturschutzbehörde. Beim Bau und der Unterhaltung von Waldwegen wird kein standortfremdes Wegebaumaterial verwendet. Nicht mehr benötigte Wege werden zurückgebaut.

9. Auf Bodenbearbeitung und auf die Anlage und Unterhaltung von Entwässerungsgräben wird verzichtet.

10. Pestizide und sonstige Pflanzenschutzmittel werden nicht eingesetzt. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung der Forstbehörde im Einvernehmen mit der Naturschutzbehörde.

11. Forstliche Eingriffe in Altbeständen finden während der Balz-, Brut-, Setz- und Aufzuchtzeiten (im Zeitraum von Mitte März bis Mitte Juli) nicht statt.

12. Horst-, Höhlen- und sonstige Habitatbäume werden dauerhaft markiert und aus der Nutzung genommen.

13. In Althölzern werden mindestens 5 starke Bäume je ha Waldfläche dauerhaft markiert und aus der Nutzung genommen (Horst- und Höhlenbäume sowie stehendes Totholz jeweils über 40 cm BHD können angerechnet werden).

14. Liegendes und stehendes Totholz (von 40 cm BHD aufwärts) im Umfang von mindestens 20 m³/ha wird dauerhaft im Wald belassen.

III.
Ausdehnung der Schutzgebiete im Wald

Der LNV fordert das Land auf, bis zum Jahr 2020 vermehrt Wälder für den Prozessschutz (Bannwald) und für den Arten- und Biotopschutz als Naturschutzgebiete auszuweisen. Der Anteil dieser Schutzwälder an der Waldfläche soll erhöht werden:

• bei Wäldern für den Prozessschutz (Bannwälder) auf 5 %

(Die nationale Strategie der Bundesregierung zur Erhaltung der biologischen Vielfalt fordert 5 % der Waldfläche ohne Bewirtschaftung)

• bei Wäldern für Arten- und Biotopschutz auf 20 %.

(Wald in Natura 2000-Gebieten, Schonwald und Biotopschutzwald nach Landeswaldgesetz können angerechnet werden)

IV.
Periodische Betriebsplanung

Die Umsetzung der Naturnahen Waldwirtschaft wird von der periodischen Betriebsplanung gesteuert. Aus diesem Grunde tritt der LNV dafür ein, die öffentlichen Waldbesitzer zu verpflichten, die Inhalte der periodischen Betriebsplanung (Forsteinrichtungswerke) besser bekannt zu machen als bisher (z.B. über das Internet). Dem amtlichen Naturschutz und den anerkannten Naturschutzverbänden ist die Möglichkeit zu geben, zum Entwurf der periodischen Betriebsplanung Stellung zu nehmen. Außerdem sind in die Forsteinrichtungswerke ein Kapitel „Forstwirtschaft und Naturschutz“ aufzunehmen, in dem die allgemeinen Vorgaben des Naturschutzes – insbesondere des Biotop- und Artenschutzes – und die Schutzziele der Schutzgebiete präzisiert und für die nächsten 10 Jahre festgeschrieben werden.
Die Erstellung der Forsteinrichtungswerke für den öffentlichen Wald durch die höhere Forstbehörde hat sich bewährt und soll beibehalten werden. Der LNV fordert daher das Land auf, sicherzustellen, dass dafür ausreichend Haushaltsmittel und fachkundiges Personal zur Verfügung stehen. Die Privatisierung dieser Aufgabe ist nicht zielführend.
Ferner tritt der LNV dafür ein, Privatwaldbesitzer ab einer Betriebsfläche von mehr als 100 ha zur Aufstellung eines periodischen Betriebsplanes (Forsteinrichtungswerk) zu verpflichten. Die Teile des periodischen Betriebsplans, die die gute fachliche Praxis betreffen, sind der zuständigen Forstbehörde und dem amtlichen und privaten Naturschutz zur Kenntnis zu geben.

V.
Wald und Wild

Um den Aufbau naturnaher Wälder zu gewährleisten und um den Belangen des Natur- und Artenschutzes gerecht zu werden, fordert der LNV das Land auf, die Forstbehörde zu verpflichten, in allen Jagdbezirken periodisch die Verbiss- und Schälschäden an der Waldvegetation einschließlich der standortsheimischen Flora zu erfassen und ihre ökologischen und ökonomischen Folgen darzustellen. Zur Beobachtung des Verbisses an der auflaufenden Naturverjüngung und der sonstigen Bodenvegetation sind Weiserzäune anzulegen.
Die Ergebnisse der Erfassung sind der Jagdbehörde, den Waldbesitzern, den Jagdpächtern und dem amtlichen und privaten Naturschutz sowie der Öffentlichkeit der jeweiligen Region bekannt zu geben. Aufgabe der Jagdbehörde ist es, aus der Erhebung die Konsequenzen zu ziehen und erforderlichenfalls dafür zu sorgen, dass Jagd und Hege so ausgeübt werden, dass Wildschäden vermieden werden. In die Jagdbehörde sind Vertreter des Naturschutzes aufzunehmen.

VI.
Die Aufgabe der Forstverwaltung

Der LNV fordert das Land auf, die Forstverwaltung mit der Sicherstellung und Überwachung der guten fachlichen Praxis in allen Waldbesitzarten zu beauftragen und dafür zu sorgen, dass der öffentliche Wald im Sinne der Naturnahen Waldwirtschaft vorbildlich bewirtschaftet wird. Der LNV fordert das Land außerdem auf, dafür Sorge zu tragen, dass der öffentliche Wald im Interesse der Gemeinwohlbelange in seiner derzeitigen Flächenausdehnung erhalten bleibt.
Der Personalabbau in der Forstverwaltung und die Auflösung von zahlreichen Forstdienststellen, wie sie seit vielen Jahren praktiziert werden, sind mit einer nachhaltigen, pfleglichen und funktionengerechten Waldwirtschaft nicht vereinbar, weitere Aufgaben wie die Waldpädagogik und die Umwelterziehung können nicht mehr wahrgenommen werden. Ein verbindliches Konzept zur Personalentwicklung (Einstellungskorridor) fehlt derzeit. Naturnahe Waldwirtschaft ist nur möglich, wenn die Wälder von gut ausgebildeten Fachpersonal bzw. Waldbesitzern betreut werden.

Der LNV fordert deshalb das Land auf, künftig bei den Forstbediensteten in Revier- und Leitungsdienst in ausreichendem Umfang Nachwuchspersonal einzustellen. Im öffentlichen Wald ist die Belegschaft bei den Waldfacharbeitern so zu bemessen, dass die Pflegearbeiten überwiegend und die Holzerntearbeiten zumindest teilweise in Eigenregie durchgeführt werden können. Im forstlichen Betriebsdienst sind je nach Besitzart, Topographie und Baumartenverteilung Reviere mit einer Waldfläche zwischen 700 und 1500 ha vorzusehen. Im Leitungsdienst der Forstämter sollen die Reviergrößen zwischen 5.000 und 10.000 ha Waldfläche betragen.
Waldpädagogik muss Bildungsauftrag bleiben.

Das vollständige LNV-Info finden Sie hier:

LNV-Info 1/2009