LNV-Info 1/2008
Mit der Änderung des Baugesetzbuchs (BauGB) vom 21. Dezember 2006 wurde die Möglichkeit des beschleunigten Bebauungsplanverfahren für den Innenbereich eingeführt. Die ursprünglich begrüßenswerte Idee, innerörtliche Brachflächen einer beschleunigten Wiedernutzung zuzuführen, ist allerdings mit Nachteilen für den Natur- und Umweltschutz ausgefallen, weil mit dem beschleunigten Verfahren die Pflicht zur Erstellung eines Umweltberichts, zur Umweltprüfung und zum Teil sogar die Ausgleichspflicht entfallen.
Der Verzicht auf einen Umweltbericht bedeutet jedoch auch den Verzicht auf eine gebündelte Umweltdaten-Grundlage als Abwägungshilfe für den Gemeinderat und andere, ohne dass die eigentliche Pflicht der Gemeinden, diese Daten in der Abwägung berücksichtigen zu müssen, entfällt. Daher empfiehlt der LNV den Gemeinden, den Umweltbericht weiterhin erstellen zu lassen. Der Verzicht bedeutet also keine wirkliche Vereinfachung, birgt jedoch enorme Gefahren für eine fehlerhafte Abwägung und damit Gefahren für Umweltschäden nach dem Umweltschadensgesetz.
Dieses LNV-Info möchte LNV-Arbeitskreise, Gemeinden und alle sonstigen Interessierten über das neue Verfahren informieren und auf ihren Geltungsbereich hinweisen.
Der neu eingeführte § 13a Bebauungspläne der Innenentwicklung und damit die Möglichkeit für ein beschleunigtes Bebauungsplanverfahren gilt nur für folgende Fälle:
• für zulässige Grundflächen unter 20.000 m² ,
• für zulässige Grundflächen zwischen 20.000 und 70.000 m², wenn keine erheblichen Umweltauswirkungen zu befürchten sind. Hier hat eine Vorprüfung des Einzelfalls zu erfolgen .
Für derartige beschleunigte Bebauungsplanverfahren gelten die Vorschriften des vereinfachten Verfahrens , u. a. kann also auf einen Umweltbericht samt Umweltprüfung verzichtet werden.
Auf die Ausgleichspflicht kann nur in Fällen von zulässigen Grundflächen unter 20.000 m² verzichtet werden .
Ein beschleunigtes Bebauungsplanverfahren ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn
• es sich um ein UVP-pflichtiges Vorhaben nach Landesrecht handelt
Eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder zumindest eine UVP-Vorprüfungen sind z. B. notwendig für: Hotelkomplexe ab 100 Betten oder 80 Gästezimmern, Campingplätzen ab 50 Stellplätzen, Freizeitparks ab 4 ha Fläche, Parkplätze ab 0,5 ha Fläche, Industriezonen mit einer zulässigen Grundfläche ab 20.000 m², Einkaufszentren ab einer zulässigen Geschossfläche von 12.000 m² oder sonstige Städtebauprojekte mit einer Grundfläche ab 20.000 m²
• oder wenn Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten bestehen .
Wie eingangs bereits erwähnt, entbindet das beschleunigte Verfahren die Gemeinden nicht von der Pflicht, weiterhin alle Umwelt- und Naturschutzbelange berücksichtigen zu müssen. Es gelten weiterhin die Bestimmungen zum Artenschutz, zum Biotopschutz, zum Schutz von Natura 2000 oder zum Verschlechterungsverbot nach der Wasserrahmenrichtlinie sowie zu anderen Umweltbelangen. Dies bedeutet, dass
u. a. geprüft werden muss,
• ob besonders geschützte Arten im Gebiet vorkommen und vom Bauvorhaben negativ betroffen sein können
Im Falle der möglichen Betroffenheit von FFH-Arten ist z.B. eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) nach § 42/62 BNatSchG notwendig. Siehe auch Tiergruppenbeispiele in der Anlage 3.
• ob Lebensraumtypen und Arten, die nicht in einem FFH-Gebiet liegen, jedoch vom Schutz des § 21a BNatSchG umfasst sind, betroffen sind.
Werden LRT und Arten, selbst wenn diese nicht unter § 43 BNatSchG oder Art. 12 FFH-RL fallen, unzulässigerweise zerstört, besteht eine Wiederherstellungspflicht. Ein Bebauungsplan, der die Zerstörung eines solchen LRT oder eine Art vorsieht, kann wegen fehlerhafter Ermittlung eines solchen LRT oder Artvorkommens zu dessen Unwirksamkeit führen.
• ob besonders geschützte Biotope nach § 32 NatSchG BW betroffen sind,
allerdings ist der Schutz der wohl im innerstädtischen Bereich am häufigsten zu vermutenden Biotope Hecken, Feldgehölze, Hohlwege, Trockenmauern und Steinriegel auf die freie Landschaft beschränkt (§ 32 Abs. 1 Nr. 6 NatSchG BW)
• ob FFH- oder Vogelschutzgebiete direkt oder indirekt* negativ betroffen sein können
* über Lärm, Licht, Entwässerung, zunehmende Störungen durch Erholungsnutzung, streunende Katzen usw.
In diesem Falle ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Art 12 der FFH-RL bzw. § 38 NatSchG BW notwendig, das Verschlechterungsverbot nach § 37 NatSchG BW ist zu beachten.
• ob einem Gewässer oder seiner Ufer entgegen den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie eine Verschlechterung droht.
Aus Sicht des LNV sollten Gemeinden Eingriffe auch im Innenbereich auf alle Fälle darstellen, auch wenn keine Ausgleichspflicht besteht, um nichts zu übersehen. Werden dennoch Ausgleichsmaßnahmen ergriffen, können diese dem Ökokonto gut geschrieben werden.
Den LNV-Arbeitskreisen und sonstigen Naturschutzgruppen wird empfohlen, so früh wie möglich gegenüber den Gemeinden darzulegen, ob aus naturschutzfachlicher Sicht Konflikte für die Innenbereichsüberplanung bestehen, da die Gemeinden von der Möglichkeit des Verzichts auf frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung Gebrauch machen können. In diesem Fall muss spätestens im Rahmen der Anhörung gem.
§ 13 Abs. 2 Ziffer 2 BauGB auf die Konflikte hingewiesen werden.
Umgekehrt empfiehlt der LNV den Gemeinden, von eben dieser Verzichtsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen und die Öffentlichkeit und insbesondere die Naturschutzverbände frühzeitig anzuhören.
Verletzt eine Gemeinde ihre Pflichten und versagen auch die Fach- und Rechtsaufsichtsbehörden, indem sie gegenüber der Gemeinde nicht auf die Vorlage der notwendigen Untersuchungen bestehen, kann letztlich ein Umweltschaden im Sinne des neuen Umweltschadensgesetzes entstehen, z.B. eine Mauerseglerpopulation durch Abriss alter Gebäude zur Brutzeit oder eine Zauneidechsenpopulation durch Planierungen für das neue Bauvorhaben vernichtet werden. Wenn also ein nach § 21a BNatSchG geschützter Lebensraum oder eine lokale Population zerstört wird, ohne dass dies zuvor erhoben und von einer behördlichen Genehmigung gedeckt wurde, liegt ein solcher Umweltschaden vor.
In diesem Fall ist der Verursacher des Umweltschadens – normalerweise der Bauherr – verpflichtet, entstehende Schäden an Arten, Boden oder Gewässern auf eigene Kosten umgehend und vollständig zu sanieren. „Ersatzmaßnahmen“ sind nicht zulässig. Die anerkannten Naturschutz- und Umweltverbände sind berechtigt, die zuständige Behörde zur Verfolgung des Umweltschadens und Veranlassung der Sanierung aufzufordern – notfalls auch vor Gericht.
Eine Gemeinde oder Aufsichtsbehörde, die ihre Pflichten verletzt, bürdet damit den künftigen Bauherren ein nicht unerhebliches Umweltschadensrisiko auf. Die Schädigung geschützter Arten unterliegt – wie oben ausgeführt – nur dann nicht dem Umweltschadensgesetz, wenn die zuvor ermittelten nachteiligen Auswirkungen, die aufgrund von Tätigkeiten eines Betreibers entstehen, von den zuständigen Behörden genehmigt wurden!
Dieses LNV-Info ist damit zugleich ein Appell an Gemeinden und ihre Aufsichtsbehörden, die Rechtsvorschriften zum Arten-, Biotop- und Umweltschutz einzuhalten und mit dem Instrument des beschleunigten Bebauungsplanverfahrens sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst umzugehen.
Das vollständige LNV-Info finden Sie hier: