Nutzen durch Zeitersparnis, die es nicht gibt?

LNV-Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan (BVWP) an das Bundesverkehrsministerium vom 30.4.2016

Allgemeine Bemerkungen

Der vorliegende Entwurf des BVWP 2030 ist eine Fortschreibung des BVWP 2003. Der Trend aus der Vergangenheit wird fortgeschrieben: Voraussichtlich wird so ein neues Rekordstraßenbauprogramm eingeleitet und das dichteste Straßennetz der Welt noch dichter und noch attraktiver.
Als Begründung dienen unkritisch übernommene Wachstumsprognosen: eine Plafondierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf dem heutigen hohen Niveau (wofür vieles spricht) oder sogar eine Minderung des MIV (mit geeigneten steuer- und verkehrspolitischen Maßnahmen) wird nicht in Betracht gezogen.

Verkehrsträger werden getrennt betrachtet
Die verschiedenen Verkehrsträger werden im BVWP-Entwurf – wie in der Vergangenheit – getrennt betrachtet und bewertet. Ein intermodaler Ansatz zur Lösung von Verkehrsproblemen ist nicht erkennbar. Ausgeblendet wird die Entwicklung einer vom Autobesitz unabhängigen, vielfältigen Mobilität, die – bei im Vergleich zum Straßenbau minimalen Förderkosten – alle Verkehrsprognosen in Frage stellt und den in der Vergangenheit annähernd gleichbleibenden modal-split der Verkehrsarten signifikant verändern wird. Fuß- und Radverkehr, E-Bikes und Radschnellwege, Car-Sharing, Bürger- und Rufbusse, eine hochentwickelte digitale Kommunikation (ohne Straßenverkehr), regionale und landesweite Verkehrsverbünde, preiswerte Umweltfahrkarten, die allen Mobilitätsbedürfnissen genügen, z.B. Umweltticket im Großraum Freiburg, Modell KONUS für autofreien Tourismus im Schwarzwald, landesweite Semestertickets, Jobtickets, Ländertickets in Form von Tages- und Monatskarten: der Beitrag all dieser Alternativen zum MIV wird systematisch unterschätzt und findet im BVWP wenig Beachtung. Einer Verkehrsverlagerung wird nur marginale Bedeutung zugemessen (unter 2 %) mit entsprechend geringer Auswirkung auf das Nutzen-Kosten-Verhältnis von Verkehrsprojekten. Wie in der Vergangenheit erscheint Straßenbau als die alternativlose Lösung von Verkehrsproblemen.

Monetarisierung der Zeitersparnis, obwohl es diese nicht gibt
Der Nutzen eines Verkehrsprojekts wird – wie schon in der Vergangenheit – im Wesentlichen (bis zu 75%!) aus der Monetarisierung der Zeitersparnis abgeleitet. Die Verkehrswissenschaft hat jedoch statistisch nachgewiesen, dass alle im Verkehr erzielten Zeitgewinne wieder in Verkehr investiert werden, insbesondere in längere Wege. In einer Gesamtbetrachtung wird also der zunächst scheinbare Nutzen durch den sog. „induzierten Verkehr“ wieder zurückgenommen.
Die in Wirklichkeit nicht vorhandenen monetarisierten Zeitgewinne fließen sogar mehrfach in die Bewertung ein: Zeitgewinn bedeutet in dieser Logik auch Einsparung von Emissionen und damit noch höheren Nutzen. Der Zeitverlust bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel – mit angenommener niedriger Durchschnittsgeschwindigkeit und längerer Reisezeit – wird entsprechend negativ bewertet und lässt den relativen Nutzen des Straßenbaus weiter steigen
Mit diesem gravierenden methodischen Fehler beruht die Nutzen-Kosten-Analyse (NKA), die zentrale Begründungsarchitektur des BVWP auf keinem tragfähigen Fundament.

Transportkostensenkung – falscher Anreiz zu noch mehr LKW-Verkehr
Explizites Ziel des BVWP ist – wie in der Vergangenheit – „Transportkostensenkung“, die in einer ehrlichen Einschätzung nicht stattfinden kann: die Verkehrskosten müssten vielmehr bei sachgerechter Anrechnung der externen Kosten (u.a. für Unfälle, Gesundheits-, Umwelt-, Klimaschäden, Landschaftsverbrauch) nach Meinung unabhängiger Verkehrsexperten und des LNV steigen. U.a. ist zu kritisieren, dass der BVWP Flächenverbrauch in der Regel nur bewertet, wenn eine formale Ausweisung als Naturschutzfläche besteht, und Flächenzerschneidung nur, wenn es sich um mehr als 100 qkm handelt. Das ist nicht sachgerecht und trägt noch mehr zu einer fehlerhaften, unrealistischen Nutzen-Kosten-Analyse bei. Weitere Punkte, die den wissenschaftlichen Wert der NKA in Frage stellen, werden im Anhang bei konkreten Projekten genannt.

Niedrigere Transportkosten werden in Mehrverkehr investiert
Niedrigere Transportkosten bewirken zudem – ebenso wie Zeitgewinne – den wissenschaftlich nachgewiesen. „Rebound-Effekt“: die eingesparten Kosten werden in Mehrverkehr investiert und induzieren so weitere Verkehrsströme bis hin zu globalen Produktionsketten. Der boomende online-Handel mit Gratis-Lieferdiensten ist nur ein Aspekt nicht verursachergerechter Preise im Verkehrsbereich.
Nicht verursachergerechte Preise und Verkehrsbeschleunigung führen u.a. zu folgenden Verwerfungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich:
Konzentrationseffekte im Gewerbe und Handel, Zentralisierung von Einkaufsmöglichkeiten, weite Wege selbst für Dinge des täglichen Bedarfs und für die Naherholung infolge zerschnittener und verlärmter Räume. Methodisch fehlerhaft wird auch diese so entstehende erzwungene motorisierte Mobilität im BVWP als Nutzen gerechnet.

Entkoppelung von Wirtschafts- und Verkehrswachstum notwendig und möglich
Eine Verkehrszunahme wird – wie in der Vergangenheit – als „Fundament des Wachstums“ zugrunde gelegt und nicht nur als unvermeidlich angesehen, sondern als Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand propagiert. Eine Entkoppelung von Wirtschafts- und Verkehrswachstum wird vom Verkehrsminister persönlich als ideologischer Irrweg ausgeschlossen, obwohl im Energie-, Rohstoff- und Abfallbereich genau diese Effizienzleistungen gelungen sind mit positiven ökologischen und ökonomischen Effekten.

Mobilität im Sinne von Anzahl der Wege bleibt konstant
Im Entwurf des BVWP ist auffallend oft von „ungehinderter Mobilität“ und „reibungsloser Mobilität“ die Rede. Diese Ziele sind zu relativieren: Mobilität ist ein Grundwert, unbegrenzte Mobilität sicher nicht, besonders dann, wenn Mobilität weitgehend mit motorisiertem Verkehr gleichgesetzt wird. Mobilität mit weniger Verkehrsaufwand ist möglich, wenn der politische Wille vorhanden ist, dem Umweltverbund (Fußgänger, Radfahrer, ÖV) mehr Raum zu geben und öffentlichen Raum wieder mehr als verkehrsberuhigten Lebensraum zu gestalten besonders in Wohn- und Erholungsgebieten. Der hohe volkswirtschaftliche Nutzen des Fuß- und Radverkehrs – nicht nur als positiver Gesundheitsfaktor – taucht in keiner Rechnung des BVWP auf.

Verkehrsvermeidungskonzept wird nicht vorgelegt – trotz dringender Notwendigkeit
Ein Verkehrsvermeidungskonzept ist in dem vorliegenden BVWP nicht einmal angedacht. Verkehrsverlagerung und intermodaler Verkehr werden diskutiert in dem Sinn, dass sie nur marginale Bedeutung haben und maßgebliche Veränderungen des Mobilitätsverhaltens und des Nutzen-Kosten-Verhältnisses dadurch nicht zu erwarten sind.
Damit wird dem BVWP als „zentralem Steuerungselement“ die sehr bescheidene Funktion zugewiesen, bestehende Trends fortzusetzen, keine eigenen Weichenstellungen vorzunehmen. Wenn mehr Verkehr als Mehrwert gesehen wird, ist wirksames Umsteuern kein Thema. Mit einer mutlosen Verkehrspolitik ist eine effektive Verkehrsverlagerung oder -Vermeidung nicht zu erreichen und wohl auch nicht beabsichtigt.

Elektromobilität im Individualverkehr
Elektromobilität beim KfZ ist zwar ein Vorteil, was die Stickoxidemissionen und den Lärm betrifft, es bleiben aber zahlreiche Probleme des KfZ-Verkehrs ungelöst:
Das Feinstaubproblem wird nur verringert, aber nicht gelöst, da ein großer Teil des Feinstaubes nicht aus dem Auspuff kommt, sondern durch Abrieb an Reifen, Bremsbelägen und am Straßenbelag, in der Stromerzeugung und in der Produktion der Batterien entsteht.
Der Flächenverbrauch bleibt gleich Die Unfallgefahr bleibt gleich (10 Tote täglich!)
Die Zerschneidungsprobleme bleiben gleich
Außerdem kann es zu einer unerwünschten Verlagerung vom Umweltverbund (Fußgänger, Fahrradfahrer, ÖV) auf Elektromobilität beim KfZ kommen.

Der LNV begrüßt ausdrücklich die zweirädrige Elektromobilität. Hierauf könnte ein nennenswerter Teil der Mobilität verlagert werden, wenn die entsprechende Infrastruktur geschaffen würde und Kfz-Engpässe elegant umfahren werden können.

Automatisiertes Fahren
Es erstaunlich, wie mutig und energisch eine sonst mutlose Verkehrspolitik die technokratische Vision des automatisierten Fahrens vorantreibt. Die Technik wird als problemlos dargestellt und die Technikfolgen als lösbar: endlich kann der Störfaktor Mensch dann auch beim Autofahren sich im Cyber-Space, im virtuellen Raum bewegen.
Die Weiterentwicklung der Assistenzsysteme und der Elektromobilität ist zu begrüßen. Jedoch ist technische Innovation allein nicht zielführend, wenn es um Verkehrsverhalten und Sicherheit geht.

Langsamer – leichter – sicherer
Der Trend zu immer schwereren, hochmotorisierten Fahrzeugen (durchschnittlich mehr als 135 PS in Neuwagen) läuft dem Klimaschutzziel und dem Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren zuwider und muss gestoppt werden. Durch die Einführung eines generellen Tempolimits von 100 km/h, 30km/h innerorts (50 km/h ausnahmsweise auf Hauptachsen) und 130km/h auf Autobahnen würden übertriebene Motoren-, Fahrzeug- und Straßendimensionierung vermieden, ein besserer Verkehrsfluss auf gleichmäßigem Geschwindigkeitsniveau und ein wichtiger Beitrag für Umwelt- und Klimaschutz erreicht, kleinräumige Strukturen gefördert und die Wohnumfeldqualität aufgewertet. Geschwindigkeitsreduzierung ist ein wesentlicher Beitrag zur Unfallverhütung und zur Rettung von Menschenleben im Verkehr. Die seit 2 Jahren zu beklagende Zunahme der Verkehrstoten muss für alle politisch Verantwortlichen eine Mahnung sein, jetzt die in der Öffentlichkeit weitgehend akzeptierten Geschwindigkeitsreduzierungen zu realisieren.

Steuerliche Maßnahmen
Für eine umweltverträgliche, zukunftsfähige, mutige Verkehrspolitik hält der LNV folgende steuerliche Maßnahmen für notwendig, die dem Verkehrsgeschehen und dem BVWP eine positive Wendung geben könnten:
– Stufenweise Erhöhung und Ökologisierung der Luftverkehrssteuer als Ausgleich für fehlende Kerosin-, Öko-, Mehrwertbesteuerung. Steuerprivilegien für die umweltschädlichste Verkehrsart sind wettbewerbswidrig, schaffen übermäßige Nachfrage. Innerdeutsche Flüge (mehr als 300000 jährlich) sind problemlos auf die Bahn verlagerbar. Ein Nachtflugverbot (22 bis 6 Uhr, sonntags bis 8 Uhr) ist bundesweit einzuführen, weil das Recht auf Nachtruhe vorrangig ist vor wirtschaftlichen und privaten Interessen. Die Subventionierung von Flughäfen aus Steuermitteln wird beendet.
– Ausweitung der Maut auf LKW ab 3,5 t Gesamtgewicht auf alle Straßen und Einführung einer Maut für Fernbusse.
– Schrittweise Anpassung der Diesel/Benzin-Kfz-Steuer, der Dieselbesteuerung (47 C/l) an die Benzinbesteuerung (65,5 C/l) aus EU-rechtlichen und ökologischen Gründen, insbesondere wegen hoher NOx-und Feinstaubemissionen im realen Betrieb. Die aktuellen günstigen Energiepreise sind eine gute Gelegenheit, Energiesubventionen abzubauen.
– Emissionsabhängige Erstzulassungsgebühr wie in anderen europäischen Ländern oder
Erhöhung des Kfz-Steueraufkommens (aktuell durchschnittlich ca. 150.-€ pro Kfz) durch stärkere Spreizung nach CO2- und NOx-Emissionen unter Beibehaltung des niedrigen Steuerniveaus für emissionsarme Kfz zur technikneutralen Förderung einer umweltverträglicheren Mobilität mit Elektro-, Brennstoffzellen-, Wasserstoff- oder Erdgasantrieb, besonders auch im öffentlichen Personenverkehr. V.a. die Förderung von Batterieentwicklung und Ladestationen ist sinnvoll; Kaufprämien bzw. Abwrackprämien werden abgelehnt.
– Mit den oben genannten steuerlichen Maßnahmen wird auch die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur durch öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) verzichtbar, die eine Verschiebung der Verkehrskosten in Schattenhaushalte bewirkt und am Ende – auch nach Feststellung des Bundesrechnungshofs – höhere Kosten verursacht, weil die Privatwirtschaft mit höheren Kreditzinsen und Gewinnabsichten arbeitet.

BVWP steht im Widerspruch zu den Klimaschutzbeschlüssen von Paris
Den auf der Klimakonferenz in Paris beschlossenen, weitreichenden Verpflichtungen zur Minderung der Treibhausgase wird der BVWP in der vorgelegten Form nicht gerecht. Das Bundesministerium für Umwelt stellt fest, dass der BVWP 11 von 12 im eigenen Umweltbericht gesetzten Ziele verfehlt.
Im Hinblick auf die in Paris vereinbarten Klimaschutzziele hält der LNV eine Neuorientierung der Verkehrspolitik und des Bundesverkehrswegeplans für notwendig, machbar und finanzierbar, insbesondere in den folgenden Punkten:
• Abkehr von der Wachstumsideologie im Verkehr: Mobilität mit weniger Verkehr.
• Verringerung der verkehrsbedingten Klimagase und Luftschadstoffe
• Verkehrsberuhigung als Leitziel
• Förderung kleinräumiger Strukturen und der Wohnumfeldqualität
• Anpassung des Straßen- und Luftverkehrs an die vorhandene Infrastruktur
• Stärkung des Umweltverbunds und des intermodalen Verkehrs und entsprechende Umschichtung der finanziellen Mittel.

Sanierungsbedarf und Grünbrücken
Der LNV erkennt an, dass im neuen BVWP das Verhältnis von Neubaumaßnahmen und Sanierungsmaßnahmen zumindest in die richtige Richtung geht, auch wenn der Sanierungsbedarf noch sehr unterschätzt wird. Ziel muss eine gleiche Investitionshöhe für Straße und Schiene sein.
Der Bedarf an „Grünbrücken“ zur Absicherung des Generalwildwegeplans (z.B. für Luchs- und Wildkatzenwanderwege) und zur Wildunfallminderung muss im BVWP benannt werden.

Bürgerbeteiligung zur Strategischen Umweltprüfung
Der LNV weist darauf hin, dass nach EU-Recht die Bürgerbeteiligung zur Strategischen Umweltprüfung verpflichtend war und nicht freiwillig erfolgte, wie häufig dargestellt. Eine längere Bürgeranhörung (3 Monate) bei dem vorliegenden Umfang der Unterlagen wäre ratsam gewesen.

Finanzierung
Mangels eindeutiger Priorisierung und angesichts einer unermesslichen und unfinanzierbaren Anzahl von Projekten des „vorrangigen Bedarfs“ ist zu befürchten, dass machtvolle Lobby-Interessen die Reihenfolge der Projekte bestimmen.

Anmerkung zur Strategischen Umweltprüfung

Die durch Umweltbelastungen entstehenden Kosten müssen unter Kosten ausgewiesen werden, anstatt sie vom imaginären Nutzen gleich abzuziehen. Diese nicht sachgerechte Vorgehensweise im BVWP bewirkt ein höheres Nutzen-Kosten-Verhältnis, wie aus folgendem Beispiel hervorgeht:
Nutzen: 10 Einheiten, Kosten: 4 Einheiten, Umweltkosten: 1 Einheit. Es ergibt sich ein NKV im Ist-Fall von 9:4 = 2,25, im anderen Fall von 10:5 = 2,0.

Luft/Lärmbelastung:
Die Umweltauswirkungen für Luftschadstoffe werden berechnet, allerdings ist unklar, ob die Zusatzbelastung für diejenigen Menschen eingerechnet wird, die entlang bestehender Straßen wohnen und in Folge eines Projektes Mehrverkehr bekommen. Dies wäre zwingend notwendig, ist jedoch im Fall Nordostring/Stuttgart nicht geschehen, da diese Baumaßnahme auf der B14 beim Neckartor in Stuttgart die Feinstaubbelastung erhöht, dies aber nicht gewertet wird! (siehe auch: gesondertes Schreiben des LNV-AK Stuttgart zum Nordostring)
Die Lärmbelastung im Außenbereich wird mit Hilfe einer fiktiven Lärmschutzwand weggerechnet. Diese Vorgehensweise ist unlauter. Die zusätzlich verlärmte Fläche muss berechnet werden und auf der Kostenseite eingestellt werden. Zu jedem Projekt muss eine Lärmdifferenz-Karte erstellt werden.

Erholungsraum
Der Verlust von Erholungsraum wird im BVWP nicht berücksichtigt. Gerade angesichts des demografischen Wandels und des immer höher werdenden Anteils der älteren Bevölkerung werden ortsnahe Erholungsgebiete immer wichtiger. Erholungsräume in dicht besiedelten Ballungsräumen sowie in Ferienregionen müssen mit „hoch“ gewichtet werden. Zu jedem Projekt muss eine Karte erstellt werden, in der der Verlust des Erholungsraumes dargestellt und berechnet wird.

Schutzgut Tiere und Pflanzen
wird im BVWP nur dann berücksichtigt, wenn formale Schutzgebiete betroffen sind. Diese Vorgehensweise ist falsch, da der Artenschutz nicht berücksichtigt wird. Der höchste Artenverlust findet zurzeit im Agrarland statt (z.B. Feldlerche). Somit fordert der LNV, dass auch artenreiches Agrarland mit Wertigkeitsstufen ab 6 (nach Kaule) als „hoch“ gewichtet wird.

Schutzgut Boden
Flächenverlust wird im BVWP in keiner Weise berücksichtigt; Fläche wird weder als Wirtschaftsstandort für die Land- und Forstwirtschaft, noch als Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen gewertet. Dies steht im vollkommenen Widerspruch zum Bodenschutzgesetz.
Der LNV fordert, dass Bodenverlust in die Kostenrechnung eingehen muss. Hierbei muss auch ein Faktor für Versorgungssicherheit bei der Lebensmittel – und Energiegewinnung miteinbezogen werden.

Schutzgut Klima
Das völlige Versagen des BVWP beim Klimaschutz wurde bereits oben abgehandelt
Im BVWP wird die Zerstörung von Frischluftentstehungsgebieten nicht berücksichtigt. Angesichts des Klimawandels wird die Erhaltung von Freiflächen zur Abkühlung von überhitzten Siedlungsgebieten immer wichtiger. Die Zerstörung solcher Gebiete muss mit „hoch“ gewertet werden.

Schutzgut Landschaft
Wird im BVWP nicht berücksichtig.

Zerschneidungseffekte
werden nur dann berücksichtigt, wenn Räume > 100 qkm zerschnitten werden. Dies ist vollkommen unzureichend. Im Projektdossier muss angegeben werden, wie groß der unzerschnittene Raum vor dem Bau der Straße ist und in wieviele kleinere Räume dieser dann zerteilt ist.

Anmerkungen zur Projektliste Schienenverkehr

Der BVWP stellt klar, dass er nicht zuständig ist für Schienenwege, die nicht vom Fernverkehr bedient werden. Diese Position ist rechtlich zweifelhaft: Der Bund hat zwar die Verantwortung und die Finanzierung (über die Regionalisierungsmittel) für den Betrieb des Nahverkehrs an die Länder abgegeben, ist jedoch weiterhin als Alleinaktionär der DB AG Eigentümer der DB-Schieneninfrastruktur und als solcher selbstverständlich verpflichtet, Sanierung und Ausbau der Nahverkehrs-Schienenwege als Bundesverkehrswege zu betreiben, durchaus in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, wie dies auch bei den Bundesstraßen geschieht. Jedoch darf der Bund diese Aufgabe nicht generell abweisen. Insofern verstößt die Nichtzuständigkeitserklärung des BVWP für die DB- Nahverkehrsschienenwege in Baden-Württemberg gegen elementare Pflichten des Eigentümers der Schieneninfrastruktur. Der BVWP muss in dieser Hinsicht überarbeitet werden und die Bundeszuständigkeit für Planung und Bau auch der DB-Nahverkehrs-Schienenstrecken eingefordert werden. Natürlich kann der Bund auch eine Übereignung der Schienennahverkehrs-infrastruktur an die Länder anstreben, doch z.Z. muss das aktuelle Eigentumsverhältnis zu Grunde gelegt werden.

Hochrhein- und Bodenseegürtelbahn
Besonders unverständlich ist diese Position des BVWP im Blick auf die Hochrhein- und Bodenseegürtelbahn Basel-Friedrichshafen, die zwar nicht im Fernverkehr betrieben werden, aber durchaus Fernverkehrscharakter haben mit hohen durchschnittlichen Reiseweiten und Geschwindigkeiten. Dieser im Ansatz vorhandene Fernverkehr ist durchaus ausbaufähig, auch im Wettbewerb mit dem Fernbus.

Freiburg-Colmar-Bahn
Die Reaktivierung der internationalen Schienenverbindung der Oberzentren Freiburg und Colmar fällt nach Ansicht des LNV auch in die Zuständigkeit und Pflicht des Bundes und des BVWP.
Nach aktuellen Verkehrszählungen überqueren täglich ca. 20000 Personen die Rheinbrücke bei Breisach. Verkehrswissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bei einem guten Nahverkehrsangebot auf der Schiene (Stundentakt, günstige Fahrzeiten und Tarife, Komfort und Anschlussqualität) etwa 15% der Reisenden dieses Angebot nutzen. Beispielsweise sind auf der Strecke Freiburg-Breisach deutlich mehr als 15% der Reisenden mit der Bahn unterwegs. Bei vorsichtiger Rechnung kann ein Anteil von 7,5% angenommen werden, also 1500 Personen, die bei dem aktuellen Verkehrsaufkommen auf die Bahn umsteigen werden und ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis generieren nach dem Ergebnis eines verkehrswissenschaftlichen Gutachtens.

Darüber hinaus wird sich das Potential des grenzüberschreitenden Schienenverkehrs erhöhen auf Grund von Effekten, die heute schon absehbar sind:
• Elektrifizierung und Fahrgastzunahme auf der Breisgau-S-Bahn bis 2019
• ergänzende, auf die Bahn abgestimmte Buskonzepte, z.B. im Ortsverkehr Breisach, neue Buslinie Bad Krozingen-Breisach, Zubringervehr Markolsheim-Volgelsheim
• Zunehmende Bedeutung von Klima- und Umweltaspekten (CO2-, Feinstaub-, Stickoxid-Problematik) in der Verkehrspolitik, BW als Pionierland für nachhaltige Mobilität
• neue Tendenzen im Tourismus und im Tarifbereich, u.a. zunehmende Tagesreisen und grenzüberschreitende Pauschaltarife
• Bevölkerungs-, Schul-, Siedlungs-, Gewerbeentwicklung entlang der Bahntrasse
• noch engere wirtschaftliche, politische und kulturelle Verflechtung der Oberzentren Freiburg und Colmar, auch im Rahmen der deutsch-französischen Freundschaft.

Gäubahn
Nicht nachvollziehbar ist für den LNV, dass der seit über 20 Jahren geplante und im Vertrag von Lugano mit der Schweiz vereinbarte Ausbau der Gäubahn im Abschnitt Horb-Tuttlingen zurückgestuft wurde. Dabei geht es nur um eine stellenweise Wiederherstellung der ursprünglichen Zweigleisigkeit. Es liegt ein objektiv begründbarer besonders vordringlicher Bedarf vor, ein Engpass, der erweitert werden muss: In naher Zukunft wird der Gotthard-Basistunnel eröffnet und damit eine neue Dimension im Nord-Südverkehr auf der Schiene, da die Schweiz den LKW-Transitverkehr dann zu Recht noch stärker reglementieren wird. Die Rheintalbahn kann diesen beträchtlichen Zusatzverkehr aus Kapazitätsgründen nicht allein aufnehmen; die Gäubahn wird einen erheblichen Anteil übernehmen müssen. Das ist mit der vorhandenen eingleisigen Infrastruktur unmöglich, deren Ausbau auch im Zusammenhang mit Stuttgart 21 von der Verkehrspolitik angekündigt und versprochen war.

Die vollständige Stellungnahme zum Herunterladen:

LNV-Stellungnahme zum
BVWP2030

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Ein Kommentar

  1. Der bei einem konstanten Reisezeitbudget durch Temposteigerungen induzierte Verkehr führt zu einer Nutzensteigerung. Das kann man an Hand einer Nutzenberechnung für eine Preissenkung einsehen, die bei konstantem Geldbudget zu einem induzierten Kauf führt. Wenn man annimmt, dass im Vergleichsfall 1 kg Äpfel 1 EUR kostet und im Planfall 0,8 EUR, dann ergibt sich bei einem konstanten Geldbudget ein induzierter Kauf von 0,25 kg Äpfel. Der Nutzen setzt sich aus dem Nutzen für den verbleibenden Kauf von 1kg Äpfel und dem Nutzen für den induzierten Kauf von o,25 kg Äpfeln zusammen. Der Nutzen für den verbleibenden Kauf von 1 kg Äpfel beträgt 0,2 EUR. Beim Nutzen für den induzierten Kauf von 0,25 kg Äpfel ist unklar, ob man den ursprünglichen Preis von 1EUR/kg oder den neuen Preis von 0,8 EUR/kg ansetzen soll. Plausibel ist die Benutzung des Mittelwerts von 0,9 EUR/kg (rule of half). Es ergibt sich dann der Nutzen für den induzierten Kauf 0,25*0,9 EUR = 0,225 EUR. Der Gesamtnuzen beträgt 0,4225 EUR und ist größer als der Nutzen des verbleibenden Kaufs von 0,2 EUR.
    Beim Bundesverkehrswegeplan 2030 wird die “rule of half” benutzt. Da sich die Reisezeiten zwischen den Verkehrszellen in der Regel um deutlich weniger als 20 % vermindern, spielt der durch den induzierten Verkehr erzeugte Zusatznutzen nur eine geringe Rolle.

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