Kritik an Rechtseinschränkungen für Naturschutzverbände

LNV-Stellungnahme zur Änderung des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (LVwVfG)
sowie des Straßengesetzes Baden-Württemberg (StrG BW)

an das Innenministerium Baden-Württemberg
Anhörung vom 16.12.2014, Az 2-0510.2/38

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen verfahrensbeschleunigende Regelungen für Planfeststellungsverfahren auf Kosten bisheriger Rechte anerkannter Natur- und Umweltschutzverbände gesetzlich festgelegt werden. Aufgrund Bundestagsbeschluss von CDU/CDU und SPD vom 27.10.2006 sollen diese Rechtseinschränkungen in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht nun auch auf Landesebene verankert werden, nachdem dies auf Bundesebene bereits erfolgt ist.

Der LNV lehnt die geplante Beschneidung bisheriger Rechte anerkannter Natur- und Umweltschutzverbände ab.

Kurzer Rückblick, Entstehungsgeschichte

Die Rechtseinschränkungen waren zunächst als Sonderrecht unter der Bezeichnung „Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz“ 1991 zeitlich und regional begrenzt auf die ostdeutschen Bundesländer eingeführt worden. Die Entschließung des Bundestags vom 27.10.2006 (BT 16/3158) mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion sieht vor, die ehemalige Sonderregelung generell in die Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern einzuführen, also für alle Planfeststellungsverfahren auf Bundes- und Länderebene zum Standard zu machen. Im Dezember 2006 wurde die Entschließung zunächst in sechs Bundes-Fachplanungsgesetze verankert („Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz“). Mit der Begründung, die Planverfahren vereinheitlichen zu müssen, wurden die Rechtsbeschneidungen anerkannter Natur- und Umweltschutzverbände dann zunächst im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes verankert (PlVereinhG, 31.05.2013).

Jetzt liegt der Gesetzentwurf mit der Anmerkung „besonders eilig“ für die gleiche Änderung auch des Landes-Verwaltungsverfahrensgesetzes vor.

Die wichtigsten LNV-Anträge zur Änderung des Gesetzentwurfs

Der LNV beantragt:

1. auf das Verbot möglicher Fristverlängerungen für die Abgabe von Stellungnahmen in Planfeststellungsverfahren über die 4+2 Wochenfrist für anerkannte Naturschutzverbände hinaus zu verzichten (§ 73 Abs. 4).

2. auf die Präklusion (Ausschluss nicht fristgerecht vorgebrachter Argumente) für die anerkannten Umweltverbänden zu verzichten (§ 73 Abs. 4). Diese „Verfahrensbeschleunigung“ verhindert qualitative Planungs-Verbesserungen, indem Hinweise anerkannter Naturschutzverbände behördlicherseits ignoriert werden müssen. Sie ist mit der Politik des Gehörtwerdens nicht vereinbar.

3. auf eine Plangenehmigung anstelle eines Planfeststellungsverfahrens zu verzichten, wenn Rechte anderer „nur unwesentlich“ betroffen sind (§ 74 Abs.6). Eine Behörde kann unwesentliche Betroffenheit außerhalb ihres Fachbereichs kaum beurteilen. So erkennt sie die Betroffenheit von Natur und Umweltgütern oftmals nicht.

4. auf die Erweiterung der Heilungsmöglichkeiten um Form- und Verfahrensfehler zu verzichten (§ 75 Abs. 1a). Dies trägt nicht zum sorgfältigen Arbeiten von Behörden bei.

5. auf die Einführung des „Spatenstichs“ als Baubeginn zu verzichten (§ 75 Abs. 4). Damit wird der Planfeststellungsbeschluss durch unbestimmte Unterbrechungsmöglichkeit des (Straßen-)Bauvorhabens über die fünf Jahre hinaus auf unbestimmte Zeit verlängert.

6. Auf die Umwandlung von bisherigen Soll-Vorschriften für Behörden zum Abschluss von Verfahrenschritten in verbindliche Fristen zu verzichten (§ 73 Abs. 6 Satz 7, § 73 Abs. 9)

Der LNV begrüßt im Gesetzentwurf

• die Verankerung der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 25 Abs. 3).
Sie geht auf eine Bundesinitiative des ehem. baden-württembergischen Ministerpräsidenten Map-pus zurück und konkret auf den Schwarzen Donnerstag am 30.09.2010 im Stuttgarter Schlossgar-ten mit Wasserwerfereinsatz und vielen Verletzten.

• die Empfehlung für möglichst elektronische Verfügbarkeit der Anhörungsunterlagen (§ 27a)

• die Zusendung von Plangenehmigungen an die Verfasser von Stellungnahmen (§74 Abs.4)

Zu D des Vorblatts: Regelungsfolgen und Nachhaltigkeitsprüfung

Es fehlt die vorgeschriebene Nachhaltigkeitsprüfung der Gesetzesfolgen, die wir nachzuholen bitten.

Das Innenministerium hat in D des Vorblatts nur die Regelungsfolgen abgeschätzt und betont ausschließlich die „positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft“, ohne auf die Folgen für Natur und Umwelt und die Bürger einzugehen.

Es wird zu merklichen Nachteilen für Natur und Umwelt kommen und damit auch für Bürger/innen. Denn die Verfahrensbeschleunigung erfolgt auf Kosten sorg-fältiger Planung und sorgfältiger Behördenentscheidung, weil Argumente und Hinweise anerkannter Umweltverbände, die nicht fristgerecht eingereicht werden, von Behörden nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.

ausführliche Begründung:

Inhaltsverzeichnis

Zu Artikel 1 Änderung des LVwVfG 4
§ 25 Beratung, Auskunft, Öffentlichkeitsbeteiligung 4
§ 27a Öffentliche Bekanntmachung im Internet 5
§ 37 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes; Rechtsbehelfsbelehrung 5
§ 73 Anhörungsverfahren 5
§ 74 Planfeststellung, Plangenehmigung 7
§ 75 Rechtswirkung der Planfeststellung 7
Zu Artikel 2 Änderung des Straßengesetzes BW 8
Zu § 38 Straßengesetz Baden-Württemberg 8

Zu Artikel 1 Änderung des LVwVfG

§ 25 Beratung, Auskunft, Öffentlichkeitsbeteiligung
zum neuen Absatz 3:

Der LNV begrüßt die Neueinführung einer Pflicht für Behörden, beim Planungs-träger auf eine frühzeitige Öffentlichkeitsinformation und -beteiligung hinzuwirken.
Laut Erläuterungen zum Gesetz sind damit in erster Linie Großvorhaben bzw. raum-bedeutsame Vorhaben gemeint, aber auch sonstige Vorhaben wie bau-, wasser- oder immissionsschutzrechtliche Vorhaben, auch genehmigungsfreie, sofern sie „nicht nur unwesentliche“ Auswirkungen auf eine größere Zahl von Dritten haben können (Gesetzesbegründung S. 22 oben).

Wir begrüßen auch die Geltung dieser Pflicht für Vorhabenträger wie Land, Land-kreis und Kommunen (Gesetzesbegründung S. 23 unten).

Wir bitten um Prüfung einer Ergänzung in Satz 3 (unterstrichen): „Der betroffenen Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung sowie zu Hinweisen auf den notwendigen Untersuchungsumfang und fehlende Daten (Scoping) gegeben werden.“
Aus LNV-Sicht könnte die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung für UVP-pflichtige Vorhaben auch als Scopingtermin nach dem UVPG bzw. UVwG BW dienen. Der Planungsträger wird dadurch vielleicht zusätzlich überzeugt, dass eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung sinnvoll ist. Werden fehlende Untersuchungen nämlich erst bei Antragstellung oder gar erst im Rahmen der Anhörung bemerkt, kann dies zu Verzögerungen führen, die im anderen Falle vermieden worden wären.

§ 27a Öffentliche Bekanntmachung im Internet

Der LNV begrüßt ausdrücklich die Soll-Vorschrift, wonach die öffentliche oder ortsübliche Bekanntmachung zusätzlich über das Internet erfolgen soll, einschließlich Hinweis auf die Fundstelle der möglichst elektronisch zu hinterlegenden Anhörungsunterlagen.
Wir bitten um Ergänzung, dass den anerkannten Vereinigungen die Bekanntma-chung zuzuschicken ist (analog § 6 Abs. 2 UVwG BW).

§ 37 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes; Rechtsbehelfsbelehrung

Der LNV begrüßt die Übernahme der Rechtsbehelfsbelehrung von der VwGO in das LVwVfG als neuen Absatz 6 des § 37.

§ 73 Anhörungsverfahren

Zu Absatz 2 (Anhörung der TÖBs)
Der LNV beantragt, dass die anerkannten Naturschutz- und Umweltverbände von der Anhörungsbehörde parallel zu den Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, angehört werden, also wie Träger öffentlicher Belange (TÖB), wobei die Unterlagen zuzusenden oder deren Fundstelle im Internet bekannt zu geben sind. Eine lediglich ortsübliche Bekanntmachung der betroffenen Gemeinde reicht nicht aus.
Es reicht auch nicht aus, wenn das Gesetz die Möglichkeit der direkten Benachrichtigung der anerkannten Verbände nur nicht förmlich verbietet.

Wir bitten um eine Ergänzung (unterstrichen):
„(2) Innerhalb eines Monats nach Zugang des vollständigen Plans fordert die Anhörungsbehörde die Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, und die anerkannten Umweltvereinigungen zur Stellungnahme auf und veran-lasst, dass der Plan in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirken wird, ausgelegt wird.“

Zu Abs.4

Der LNV lehnt die Satzergänzung mit der strikten Fristbegrenzung auf 4+2 Wochen für Stellungnahmen und der Präklusion für die anerkannten Umweltverbände ab, weil dies nicht zu einer qualitativen Verbesserung der Planung beiträgt, sondern lediglich zu einer Verfahrensbeschleunigung einseitig zugunsten der Wirtschaft und auf Kosten von Natur und Umwelt sowie sozialen Belangen (Gesundheit, Lärmbelastung, Luftverunreinigung) .

Zu Abs. 6 Satz 1 (Erörterung)

Die Beibehaltung der zwingenden Erörterung von Stellungnahmen begrüßt der LNV, nicht jedoch den Ausschluss nicht fristgerecht eingereichter Stellungnahmen, s.o.

Zu Abs. 6 Satz 7 (Fristsetzung für Erörterung)

Die Umwandlung der Soll-Vorschrift für die behördliche 3-Monats-Frist zum Ab-schluss einer Erörterung in eine verbindliche 3-Monats-Frist lehnt der LNV ab. Ge-setzlich verpflichtende Fristen für Behörden führen bei gleichzeitiger Behördenüberlastungen durch Personaleinsparung zu qualitativ schlechten Behördenentscheidungen und damit zum Standardabbau im Natur- und Umweltschutz.

Zu Abs. 8 Satz 1

Die Fristsetzung für Stellungnahmen zu Planänderungen von lediglich zwei Wochen ist für ehrenamtliche tätige NaturschützerInnen in den meisten Fällen zu kurz bemessen. Hinzu kommt, dass viele Behörden die Zeit der Ferien für Auslegungen nutzen, obwohl sie damit vielen Bürgern und anerkannten Naturschutzverbänden die Mitwirkungsrechte indirekt entziehen. Der LNV bittet daher um eine Änderung des Satzes (unterstrichen):
„…und ihnen Gelegenheit zu Stellungnahmen und Einwendungen je nach Komplexi-tät der Änderung innerhalb von zwei bis sechs Wochen außerhalb der Ferienzeit zu geben, andernfalls entsprechend länger.“

Abs. 9

Auch hier ist der LNV der Auffassung, dass der Orientierungswert für Behörden zur Weiterleitung von Anhörungsergebnisse an die Planfeststellungsbehörde nicht durch eine verbindliche 1-Monats-Frist ersetzt werden sollte. Es gilt unsere Begründung zu Abs. 6 Satz 7.

§ 74 Planfeststellung, Plangenehmigung

Zu Abs. 4 Satz 1

Die Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses gilt nach bisherigem Gesetz grundsätzlich. Mit der Änderung erfolgt sie künftig nur noch an solche Vereinigungen, über deren Stellungnahme entschieden worden ist.
Der LNV beantragt, dass der Planfeststellungsbeschluss bzw. die Plangenehmigung bis mindestens zur vollständigen Fertigstellung des Vorhabens und seiner Kompensations- und vorgezogenen Artenschutzmaßnahmen im Internet hinterlegt wird. Die Fundstelle soll bekannt gegeben werden, so dass auch Vereinigungen, die aus zeitlichen Gründen keine Stellungnahme abgeben konnten, Zugriff auf den Planfeststellungsbeschluss haben.

Zu Abs. 6 Satz 1

Die Erweiterung der Möglichkeit, anstelle eines eigentlich notwendigen Planfeststellungsverfahrens lediglich ein Plangenehmigungsverfahren zu wählen, wenn Rechte anderer „nur unwesentlich“ betroffen sind, sieht der LNV kritisch, weil der Begriff der unwesentlichen Betroffenheit weit auslegbar ist.
Schon jetzt beobachten wir, dass Behörden auf UVP-Pflicht verzichten, um eine Öffentlichkeitsbeteiligung zu umgehen.

Zu Abs. 6 Satz 2

Die Gleichstellung von Plangenehmigung mit Planfeststellung samt enteignungs-rechtlicher Vorwirkung sehen wir kritisch. Worin liegt dann noch der Vorteil eines Planfeststellungsverfahrens gegenüber einem Plangenehmigungsverfahren?
Die Zustellpflicht der Plangenehmigung an diejenigen, die Einwendungen erhoben haben, begrüßen wie jedoch ausdrücklich.

§ 75 Rechtswirkung der Planfeststellung

zu Abs. 1a Satz 2

Der LNV lehnt es ab, dass neben Abwägungsmängeln künftig auch Verletzungen von Verfahrens- und Formvorschriften nicht zu einer Aufhebung des Planfeststel-lungsbeschlusses oder der Plangenehmigung führen sollen.
Es führt zu Unmut und Unverständnis in der Bevölkerung und bei den anerkannten Natur- und Umweltschutzverbänden, wenn Fachverwaltungen sich jede Art von Fehler erlauben können, ohne dass dies Auswirkungen auf ihre behördliche Planfeststellung oder Plangenehmigung hat. Gleichzeitig aber werden die Rechte von Bürgern, Betroffenen und anerkannten Naturschutzvereinen beschnitten, indem ihnen die Möglichkeit von Einwendungen/Stellungnahmen und letztlich auch Klagemöglichkeiten genommen werden, nur weil nicht alle Argumente vollständig und fundiert binnen der vorgegebenen 4+2-Wochen-Frist eingereicht wurden.
Diese Ungleichbehandlung von Verwaltung und Wirtschaft einerseits und BürgerInnen sowie anerkannten Umweltverbänden andererseits passt nicht in eine Demokratie und nicht zu einer Politik des Gehörtwerdens.

Zu § 75 Abs. 4
Die Ergänzung eines zweiten Satzes lehnt der LNV ab. Damit soll die mehr als frag-würdige Gepflogenheit, mit dem symbolischen Spatenstich bei (Straßen-) Bauvorhaben und anschließender jahrelanger Unterbrechung der Bauarbeiten ein Außerkrafttreten des Planfeststellungsbeschlusses nach fünf Jahren zu verhindern, in allgemeines Verwaltungshandeln überführt werden. Es wirft ein schlechtes Licht auf Finanz- und Planungspolitik, wenn zu solchen Mitteln insbesondere der öffentlichen Hand gegriffen werden muss.
Der LNV beantragt vielmehr, eben diese rein symbolische Form eines „Baubeginns“ im LVwVfG explizit auszuschließen.

Zu Artikel 2 Änderung des Straßengesetzes BW

Zu § 38 Straßengesetz Baden-Württemberg
Siehe hierzu die LNV- Anmerkungen zu § 74 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG

Die LNV-Stellungnahme zum Herunterladen:

LNV-Stellungnahme
zum Verwaltungsverfahrensgesetz