LNV zum Weltwassertag am 22. März 2022

LNV-Info 1/2022
Foto: Dr. Wilhelm Schloz: Quellwasserabfluss über Kalktuff-Ausfällungen am Trauf der Schwäbischen Alb

Diesjähriges Thema zum Weltwassertag: „Groundwater: Making the Invisible Visible“.
In der deutschen Version: „Unser Grundwasser, der unsichtbare Schatz“

Ein Essay zur Erinnerung an Bekanntes

„Unser Grundwasser, der unsichtbare Schatz“
Das Thema des diesjährigen Weltwassertags ist von hohem Gewicht und herausragender Bedeutung, denn das Grundwasser hat vielfältige Funktionen im Wasserkreislauf, in der Biosphäre, weltweit und an jedem Ort des Festlands. Im Wasserkreislauf – Niederschlag, Verdunstung und Abfluss – stellt es den entscheidenden Zwischenspeicher dar, der verhindert, dass der Abfluss nicht auf kürzestem Weg dem Ozean zufließt. Bei der Passage durch den Untergrund sind der Bodenwassergehalt und das Grundwasser zu unterscheiden. Ersteres steht der Vegetation und der Boden-Biozönose zur Verfügung. Das Grundwasser verzögert den Abfluss und verweilt im Untergrund Tage, wie in Karstgebieten, bis Jahre und bis Jahrtausende, je nach geologischer Struktur des Untergrundes und Tiefenreichweite der Fließbewegung.

Tiefes Grundwasser
Tiefes Grundwasser ist sehr alt, enthält zunehmend Gehalte an gelösten Mineralstoffen, insbesondere NaCl, und kann die Grenzkonzentration für Süßwasser von 0,1 % Salzgehalt übersteigen. In der Tiefe von einigen Kilometern findet ein Übergang zu weitgehend bis vollständig ruhendem, unterschiedlich stark mineralisiertem, Millionen Jahre altem, das heißt fossilem Wasser statt, es treten Gase hinzu und die Temperatur steigt, soweit bei uns erkundet bis 170 °C in 4,4 km Tiefe, und darunter weiter an.

Süßwasservorräte
Es ist bekannt, 97,5 % des irdischen Wassers sind Salzwasser in den Ozeanen und unter-geordnet tiefes salziges Grundwasser. Die Süßwasser-Vorräte betragen nur etwa 2,5 % des irdischen Wassers. Davon sind knapp 70 % als Eis und Schnee in den Polarregionen und untergeordnet in den Hochgebirgen gebunden, etwa 30 % sind süßes Grundwasser, einschließlich Permafrost in den kalten Gebieten. Das oberirdische Wasser in Flüssen, Seen, Mooren, Feuchtgebieten und im Boden beträgt um oder unter 1% des Süßwassers (wobei alle bis heute durch fachliche Schätzung ermittelten Zahlen noch schwanken).

Grundwasserabhängiger Wasserhaushalt der Landschaft
Das oberflächennahe, bis einige 100 m tiefe Grundwasser strömt mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten von cm/Jahr bis km/Tag, letzteres in Karstgebieten, zu Quellen, zu oberirdischen Gewässern, Bächen, Flüssen und Seen, oder auch direkt ins Meer. Viele Gewässer führen anteilig bis vollständig zugetretenes Grundwasser, auch wenn über längere Zeit kein oberirdischer Abfluss aus Niederschlag besteht. Das ist für den Wasserhaushalt der Landschaft, die Gewässerökologie, wasserabhängige Ökosysteme und alle Wassernutzungen von außerordentlicher Bedeutung. Örtlich und zweitweise kommt es auch zur umgekehrten Fließrichtung vom Gewässer in das Grundwasser.

Der Untergrund als Wasserspeicher
Der Untergrund stellt einen ungeheuer großen Wasserspeicher mit allerdings in den einzelnen Gesteinen, Formationen und Schichten sehr unterschiedlichen Hohlraumanteilen und unterschiedlichen Durchlässigkeiten dar, mit Variationen von der geologischen Barriere bis zu unterirdischen Flüssen und Seen in Karstgebieten. Dieser Hohlraumanteil beträgt in Sanden und Kiesen der Lockergesteine, je nach Korngröße und -gemisch, etwa 10 bis über 25 Volumen-%. In Festgesteinen ist die Porosität für bewegliches Wasser im Gestein selbst von weniger als einem bis einigen % und jene in den Klüften zu unterscheiden. Die Klüftigkeit und Kluftöffnung nimmt mit der Tiefe in den Gesteinen und Schichten unterschiedlich ab, in kompetenten Gesteinen und in Bruchstrukturen stehen dem Grundwasser Fließwege und Speicherstrukturen bis in große Tiefe, mit allerdings meist weniger als 2 % zur Verfügung. Im Kalkstein und Dolomit entstehen durch die langfristige Lösung des Gesteins heterogene Karststrukturen, die, großräumig betrachtet, bis über 4 % Hohlraumanteil erreichen können. Es bestehen deshalb „Grundwasserlandschaften“ sehr unterschiedlicher Ergiebigkeit.

Gelöste mineralische Stoffe
Grundwasser enthält lebenswichtige gelöste mineralische Stoffe, im ungünstigen Einzelfall können aber auch für Organismen schädliche oder giftige Bestandteile enthalten sein. Der geogene Feststoffaustrag mit dem Grundwasser beträgt allein für Südwestdeutschland deutlich über 3 Millionen Tonnen im Jahr. Hinzu kommen im oberflächennahen Grund-wasser erhebliche anthropogene Stoffeinträge (insbesondere Salze, Nitrat und Aufhärtung).

Grundwasser ist belebt
Nicht nur das Bodenwasser, auch das Grundwasser ist belebt. Es bildet bis in große Tiefen eine eigene Biozönose mit großer biologischer Vielfalt von Mikroorganismen (Proto- und Metazoen, Bakterien und aquatische Pilze, auch in Biofilmen), bei größeren Hohlräumen auch Wurm-, Krebs-, Amphibien-, Schnecken- und Fischarten. Die Artenzahl geht in die zig Tausende. Aufgrund der meist herrschenden Kleinporigkeit, ständigen Dunkelheit und Armut an Nährstoffen ist dieses Ökosystem an extreme Verhältnisse angepasst und wurde lange übersehen und in seiner Funktion unterschätzt. Neben chemischen und physikalischen Vorgängen ist es jedoch entscheidend für zahlreiche Stoffumsetzungen im Grundwasser, die auch als Reinigungsvorgänge bezeichnet werden. Voraussetzung für diese Aktivität ist, dass diese nicht durch für die Biozönose toxisch wirkende Stoffeinträge behindert werden.

Leben braucht Wasser
Leben braucht Wasser. In Regionen und in Zeiten ohne Niederschlag ist in Quellen und in deren Abflüssen austretendes oder natürlich freigelegtes Grundwasser für höher entwickelte Organismen lebensentscheidend. Unsere Gesellschaft, Zivilisation und Technik hat gelernt, das Grundwasser in vielfältiger Weise und für vielfältige Zwecke zu gewinnen und zu nutzen, oder auch, wo es „stört“, bei Tiefbau und Rohstoffgewinnung, einfach zu beseitigen.

Grundwasser für die Trinkwasserversorgung
Im öffentlichen Bewusstsein steht die Gewinnung von Grundwasser für die Trinkwasserversorgung im Vordergrund. Die Qualität des Wassers zum gesundheitlich unbedenklichen Trinken muss nach dem Gesetz gewährleistet sein, die tatsächliche Nutzung dient aber weit überwiegend anderen hygienischen, gewerblichen und industriellen Zwecken. Der jährliche Gebrauch in Baden-Württemberg beträgt etwa 680 Millionen m³, davon stammen rund 70 % aus dem Grundwasser, einschließlich frei ausfließender Quellen, der weitere Anteil aus Seen, Talsperren und Flüssen. Grundwasser wird deshalb meist bevorzugt, weil es im geologischen Speicher gleichmäßig verfügbar, von gleichbleibender chemischer Beschaffenheit und kühler Temperatur sowie „im Idealfall“ frei von Abwasser, arm an Trübstoffen und mikrobiologisch für den Menschen unbedenklich ist. Bei Quellen bestehen stärkere Schwankungen der Schüttung und in Karstgebieten zeitwiese Verunreinigungen und mineralische Trübungen. Weitere Grund- und Quellwasser-Nutzungen dienen der Gewinnung von Mineral-, Heil- und Thermalwässern für angenehmes bis heilsames Trinken und Baden. Insgesamt bestehen im Lande regional stark wechselnde geologische Verhältnisse und damit eine sehr ungleiche Verfügbarkeit und unterschiedlicher Chemismus des Grundwassers. Warme bis heiße tiefe Grundwässer können geothermisch zur Wärme- und ab über 100 °C zur Stromproduktion genutzt werden, was in Baden-Württemberg bisher erst in geringem Umfang erfolgt.

Auswirkungen des Klimawandels
Der neue Weltwasserbericht der UNESCO, mit zweifellos auch weiterhin erschreckenden Daten zu den weltweiten Auswirkungen des Klimawandels auf das ober- und das unter-irdische Süßwasser sowie den Millionenzahlen von Menschen ohne sichere und aus-reichende Versorgung mit Trinkwasser, von den Vereinten Nationen zum Menschenrecht erklärt, sowie ohne Zugang zu Sanitärsystemen und zu, insbesondere Kinder betreffenden, Todesfällen durch verschmutztes Trinkwasser, wird erst am Wassertag veröffentlicht.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf das Grundwasser werden derzeit eingehend erforscht. Dabei zeichnet sich mehrfacher Stress ab. Dieser liegt einerseits im wachsenden Wasserbedarf und erhöhter Entnahme aus dem Untergrund infolge von zunehmenden Trockenheits- und Hitze-Perioden. Andererseits muss mit verminderter Neubildung von Grundwasser aus Niederschlag gerechnet werden. Allerdings bezeichnen das Umweltbundesamt (UBA) und die Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in ihren aktuellen Informationen die Prognose gerade für dieses Thema, abweichend von anderen Klimaparametern, als derzeit noch unsicher. Eine zunächst erwartete Zunahme der Winterniederschläge, die vorrangig dem Grundwasser zu Gute kommen, ist, zumindest für unsere Region, in den letzten Jahren nicht eingetreten. Nahezu landesweit sinken die Grundwasserstände auf bisher seltene oder unbekannt tiefe Werte. Und daraus ergeben sich weitere Defizite im Wasserhaushalt. Darüber hinaus hat die Klimaerwärmung Folgen für die Temperatur und Beschaffenheit des ober- und oberflächennah unterirdischen Wassers, wodurch die ökologischen Verhältnisse überwiegend negativ verändert werden.

Bestehende Reinigungs- und Schutzwirkungen
Wie bereits angedeutet, bestehen für das Grundwasser wichtige Reinigungs- und Schutzwirkungen, bei der Bodenpassage des Sickerwassers und im Grundwasserleiter selbst, die in den Gesteinen und Grundwasserleitern jedoch unterschiedlich wirksam sind. Zu nennen sind hier Filtration, Adsorption, biologischer und geochemischer Stoffumsatz, lange Aufenthalts-zeiten im Untergrund mit günstiger Elimination pathogener Keime, Ausgleich der Beschaffenheit und für den Menschen angenehmer Temperierung. Einige dieser Wirkungen sind allerdings langfristig sowie gegen massive Beanspruchung und gegen persistente, meist anthropogene Schadstoffe begrenzt. Das gilt beispielsweise für den Abbau hoher Einträge von Nitrat zu Stickstoff, für den organische oder mineralische, oxidierbare Bestandteile des Bodens und Gesteins aufgezehrt werden. Stoffeinträge erfolgen mit dem Niederschlag aus der Atmosphäre, flächig aus der Landwirtschaft, eher punktuell aus Verkehr, Siedlungstätigkeit und Industrie sowie aus verunreinigten Gewässern. Problematisch sind insbesondere großflächig und massenweise ausgebrachte Düngestoffe und chemisch stabile Pflanzenbehandlungsmittel. Hinzu kommen Schadensfälle wie beispielsweise die Ausbringung Per- und Polyfluorierter Chemikalien (PFC) enthaltender Schlämme auf Äckern im Bereich Rastatt und Baden-Baden. Immer mehr ubiquitäre persistente Spuren- und Schadstoffe werden auch im Grundwasser nachgewiesen. Sie haben dort sehr lange Verweilzeiten.

Wasserschutzgebiete
In Baden-Württemberg sind rund 25 % der Landesfläche als Wasserschutzgebiete ausgewiesen, hauptsächlich für Grundwasser-Fassungsanlagen. Das Ziel einer großflächigen bis landesweiten guten Beschaffenheit des Grundwassers ist damit aber noch nicht erreicht und bedarf weitere hohe Anstrengungen und Maßnahmen.

Und heute
Heute muss leider hinzugefügt werden: Krieg ist eine entsetzliche humane Katastrophe, mit schwerem Leid und gewaltsamem Tod. Darüber hinaus wird auch Natur plattgewalzt, die Umwelt vergiftet, Treibhausgase werden in großem Umfang emittiert, Boden und Wasser verseucht, Ressourcen vergeudet. Die Auswirkungen, heute noch schwer absehbar, werden sich über viele Jahrzehnte in der gesamten Biosphäre der betroffenen Region und darüber hinaus auswirken, vorallem in der Ukraine, einem Land, das schon bis dahin schwer durch die Folgen exzessiver Rohstoff-Gewinnung, Industrie und eine ungeheure atomare Umweltkatastrophe belastet und geschädigt ist.

Esslingen, zum 22. März 2022
gez. Dr. Wilhelm Schloz, LNV-Referent für Geologie, Grundwasser und Geothermie.

weiterführende Links: LNV-Info zu Spurenstoffe in Gewässern