Oettinger outet sich als Geisterfahrer und verkennt die Qualität der geistreichen Werbung.
Der Landesnaturschutzverband – Dachverband von 34 Naturschutzvereinen – hält nichts von Alt-Ministerpräsident Günther Oettingers Kritik an der SSB. Mit seinem Tadel der – aus Angst vor der mächtigen Autolobby schon wieder beendeten – geistreichen Werbekampagne der SSB über die Auswüchse der Autoflut und den Nutzen des öffentlichen Verkehrs hat Alt-MP Oettinger danebengegriffen.
Die Wende zu einem menschen- und klimagerechten Verkehr kommt nicht voran, hätte aber jede Unterstützung verdient. Der Verkehrssektor hat bisher darin versagt, Beiträge zum Klimaschutz zu leisten. Hingegen haben fast alle anderen Quellen von Treibhausgasen von der Energiewirtschaft über Industrie und Gewerbe, Gebäude bis hin zur Landwirtschaft seit 1990 ihre Treibhausgasemissionen zumindest ein bisschen gesenkt. Da hätte Oettinger sich besser nicht auf die fachlich untermauerten eingängigen Aussagen der SSB einschießen sollen.
Anders beim Verkehr: Trotz allen technischen Fortschritts und mittlerweile vieler tausend Elektrofahrzeuge liegen nämlich die absoluten Gesamtemissionen des Verkehrs seit 30 Jahren praktisch unverändert auf hohem Niveau, wegen der starken Zunahme des motorisierten Straßenverkehrs. Mit rund einem Drittel ist der Verkehr mittlerweile in Baden-Württemberg der größte Emittent von Treibhausgasen. 1990 lag der Anteil noch bei weniger als einem Viertel.
Alle Experten wissen, dass es nicht allein reicht, den öffentlichen Verkehr besser zu machen, so wichtig das auch ist. Das verpufft, wenn Auto- und Flugverkehr nicht parallel dazu endlich weniger attraktiv gemacht werden – z. B. durch Bepreisung und durch Einschränkung von Stellplätzen. Die 6,9 Mio. Pkw in Baden-Württemberg, nehmen immense Flächen für den fahrenden und ruhenden Verkehr in Anspruch. Neben Schädigung des (Klein-)Klimas belasten ihre Schadstoff- und Lärmemissionen vor allem diejenigen Bürger, die es sich nicht leisten können, in teureren Wohnungen außerhalb des „Lärmteppichs“ großer Straßen zu wohnen. Der von Oettinger bekämpfte Bewusstseinswandel zugunsten des öffentlichen Verkehrs benachteiligt auch die rund 20 % der Bevölkerung, die mangels Auto auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Die originelle Werbekampagne der SSB trifft deshalb ins Schwarze, und Ex-EU-Kommissar Oettinger outet sich mit seiner Kritik daran als Geisterfahrer. Wenn er den Verkehr nachhaltiger machen will, dann muss er endlich die vielfältige offene und verdeckte Begünstigung und teure Subventionierung des motorisierten Individualverkehrs auf den Prüfstand eines zukunftsgerechten Steuersystems stellen. Mit dem eingesparten Geld ließe sich viel für den öffentlichen Verkehr auch im ländlichen Raum tun.
Traut er den Anpassungsfähigkeiten der Region nicht zu, sich von der Abhängigkeit vom Automobil wenigstens schrittweise zu lösen und auf Produkte und Dienstleistungen zu setzen, die auch morgen noch gefragt sind? Auch im Wirtschaftssektor Öffentlicher Verkehr gibt es zunehmend Arbeitsplätze. Der Individualverkehr hat seine Stärken vor allem im ländlichen Raum. Aber auch dort ist der öffentliche Verkehr vielerorts schon besser als sein Ruf. Das hat sich bei manchen Politikern nur noch nicht herumgesprochen.
PM zum Download: LNV zu Kritik an SSB-Werbekampagne