Zukunftsforum Naturschutz: Flächenverbrauch

LNV fordert mehr Druck im Kampf gegen Flächenverbrauch

LNV-Tagung „Zukunftsforum Naturschutz“ am 3.12.2022 in Stuttgart

Prinzip der Freiwilligkeit stößt an Grenzen /
Siedlungsfläche wächst viermal schneller als Bevölkerung

Ausführlliche Informationen zur Tagung
Die Zusammenstellung wird weiter ergänzt.

Fachleute aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Praxis haben am Samstag in Stuttgart beim „Zukunftsforum Naturschutz“ des Landesnaturschutzverbands Baden-Württemberg (LNV) dargestellt, wie der galoppierende Flächenverbrauch zu bremsen ist. Rund 180 Interessierte besuchten die Tagung im Hospitalhof Stuttgart. Für den LNV-Vorsitzenden Dr. Gerhard Bronner war klar: Weiterhin nur auf Freiwilligkeit und Beratungsangebote zu setzen, reicht nicht. Die Politik muss den Druck erhöhen und endlich den Handel mit Flächenzertifikaten einführen.

Politisches Ziel: Netto Null
Der zunehmende Flächenverbrauch verursacht eine ganze Bandbreite an Problemen – auch, aber nicht nur für die Natur. Die Politik beteuert, den Handlungsbedarf zu sehen. Andrea Lindlohr, Staatssekretärin im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, bezeichnete das von der Koalition angestrebte Flächenziel als ambitioniert. Demnach soll der Verbrauch zunächst auf 2,5 Hektar pro Tag und bis 2035 auf „Netto Null“ sinken. Tatsächlich waren es 2021 noch 6,2 Hektar pro Tag, Tendenz steigend. Lindlohr kündigte an, die ambitionierten Ziele im neuen Landesentwicklungsplan abzubilden.
Prof Gerd Hager stellte in seinem Vortrag das „Siedlungsdichte-Monitoring“ der Arbeitsgemeinschaft der Regionalverbände vor. Die in der Regionalplanung vorgesehenen Dichten wurden in den meisten Regionen verfehlt. Deshalb brauche es eine Nachschärfung der planerischen Vorgaben, aber auch neue Instrumente.

1-2 Personen leben in Einfamilienhäusern
Markus Müller von der Architektenkammer Baden-Württemberg betonte „Wir sind am Ende der Verteilungsoptionen“. Der Gebäudebestand passe nicht zur Bevölkerung. 85,3% des Gebäudebestands sind Ein- und Zwei-Familien-Häuser, dabei machen die 1- und 2-Personenhaushalte 72 Prozent aller Haushalte aus. Müller plädierte für intelligente Dichte und stellte Beispiele vor.
Prof. Dr. Willfried Nobel, LNV-Referent für Flächen- und Bodenschutz, verdeutlichte die Problematik des Flächenverbrauchs am Beispiel der Landwirtschaft. Er appellierte an die Politik, die wertvollsten landwirtschaftlichen Böden strikter vor Bebauung zu schützen und die nötigen gesetzlichen Regelungen zu schaffen.

Bauernhöfe sterben wegen Flächenverbrauch
Die Sichtweise der Landwirtschaft präsentierte Hubert Kucher vom Bauernverband Ostalbkreis. Flächenverluste stelle ein großes Problem für viele Höfe dar. Sie könnten sich jedoch kaum dagegen wehren, da sie nur 30 % der bewirtschafteten Flächen in ihrem Eigentum haben. Besonders der Verlust fruchtbarer Böden sei schmerzhaft.

Flächensparen in der Schweiz
Wie flächensparende Siedlungsentwicklung gelingen kann berichteten im Anschluss die weiteren Referierenden.
Stadtplaner Witali Späth aus Zürich stellte die in der Schweiz geltenden Vorgaben zum Flächensparen vor. Wachstum soll dort nur noch durch Verdichtung, nicht in die Fläche erfolgen. So plant die Stadt Zürich etwa, einen Bevölkerungszuwachs von 20 Prozent zu bewältigen, ohne neue Flächen in Anspruch zu nehmen – durch Wachstum in die Höhe. Gleichzeitig sollen Grünanlagen aufgewertet werden. Eine Strategie, die Fachleute als „doppelte Innenentwicklung“ bezeichnen.

Ältere weniger – Familien mehr Wohnraum
Julia Hartmann von der Stadt Tübingen referierte über erfolgreiche Ansätze in der Universitätsstadt und das Thema Suffizienz als Leitgedanke. So bemühe sich die Stadt Tübingen etwa, passenden – kleineren – Wohnraum für ältere Menschen bereitzustellen, was deren große Wohnungen und Häuser für Familien freispielt.

LNV-Vorsitzender Gerhard Bronner stellte in Vertretung von Ralph Henger (Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln) schließlich ein Instrument vor, mit dem der Flächenverbrauch in einem Planspiel deutlich reduziert werden konnte: den Zertifikatehandel. Dabei erhalten alle Kommunen in Abhängigkeit von ihrer Größe Zertifikate für ein bestimmtes Kontingent bebaubarer Flächen. Diese können sie entweder selbst einlösen oder an anderen Kommunen verkaufen.

Bevölkerung: plus 24 Prozent, Siedlungsfläche: plus 100 Prozent
„Die letzten zwei Generationen haben so viel Fläche verbraucht, wie die 80 Generationen vor ihnen“, verdeutlichte LNV-Chef Bronner das Problem. Die Zahlen seien eindeutig: So sei die Bevölkerung seit 1970 zwar um 24 Prozent gewachsen, die Siedlungsfläche habe sich aber im gleichen Zeitraum um 100 Prozent erhöht. Sie wächst damit viermal so schnell wie die Bevölkerung.

Flächenzertifikatehandel könnte ein Lösungsweg sein
„Die bisher eingesetzten sanften Werkzeuge wie Förderprogramme, Informationsangebote und Beratungsleistungen haben zwar gewirkt, aber seit sieben Jahren wurden keine weiteren Erfolge erzielt. Jüngst geht der Flächenverbrauch sogar wieder nach oben. Deshalb brauchen wir jetzt wirksamere Werkzeuge, um diesen Trend umzukehren – etwa den Zertifikatehandel“, sagte Bronner. Vor allem im ländlichen Raum sei die Wichtigkeit des Flächensparens bei Bauherren und Kommunen noch immer nicht angekommen. Dabei sei der Flächenverbrauch dort ein noch viel größeres Problem als in Großstädten und Ballungsräumen, betonte Bronner.

Ausführlliche Informationen zur Tagung
Die Zusammenstellung wird weiter ergänzt.

Veranstalter des Zukunftsforums Naturschutz
sind der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg als Dachverband der Natur- und Umweltschutzverbände im Südwesten so-wie das Evangelische Bildungszentrum Hospitalhof Stuttgart.

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