Gäubahn-Gipfel ändert nichts an Sachstand und Rechtslage
Die geplante Kappung der Gäubahn sei inhaltlich falsch und zudem rechtlich unzulässig, solange es kein formales Stilllegungsverfahren gibt. Der LNV hatte im Juni beim Eisenbahnbundesamt einen Antrag auf Eil-Rechtsschutz gestellt, um die Kappung zu verhindern.
Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV) und der Fahrgastverband Pro Bahn bewerten den Austausch auf dem so genannten Gäubahn-Gipfel am 19. Juli als grundsätzlich positiv. Zugleich machen sie deutlich, dass sich dadurch weder die fachliche Bewertung noch die Rechtslage ändert.
Dr. Gerhard Bronner, der Vorsitzende des LNV, sagt: „Miteinander reden ist immer gut. Aber der Gipfel muss die Rechtslage beachten. Wir können gerne über weitere Lösungen reden. Aber wir prüfen notfalls auch eine Klage für die weitere Anbindung des HBF Stuttgart. Solange bis der Pfaffensteigtunnel gebaut ist.“
Joachim Barth, der Vorsitzende von PRO BAHN Baden-Württemberg, ergänzt: „Wir würdigen, dass mit Herrn Staatssekretär Theurer erstmals ein Bundespolitiker alle an einen Tisch bringt. Wir werden aber den LNV als klageberechtigten Umweltverband bei einer Klage unterstützen. Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) ist ein Bundesgesetz, das die wertvolle Bahn-Infrastruktur schützt. Es geht den Bauplänen der Stadt und den Spardiktaten der DB AG vor.“
Beide Verbände betonen, dass nach den Planfeststellungsbeschlüssen das EBA selbst für die Gäubahn ein selbständiges Verfahren forderte. Eine kalte Stilllegung wie von der DB AG angekündigt, ist also schon förmlich ausgeschlossen. Im Stilllegungsverfahren können auch die betroffenen Kommunen ihre Interessen einbringen. Eine Absprache zwischen Bahn, Stadt und Ministerium, wie sie möglicherweise beim Gäubahngipfel anvisiert wird, setzt keine Gesetze außer Kraft. Der Umstieg auf die S-Bahn in Vaihingen ist für die Verbände keine Lösung. Neben dem erheblichen Komfortverlust bedeutet jeder zusätzliche Umstieg angesichts der mangelnden Zuverlässigkeit der Bahn ein Risiko, Anschlüsse zu verpassen, erst recht beim Mitführen von Reisegepäck.
Die Behauptung der Stadt Stuttgart, die Panoramabahn könne nicht bis zur Fertigstellung der Gäubahnanbindung an den Hauptbahnhof beibehalten werden, weisen die Verbände als falsch zurück. Sie hatten der Stadt dazu bereits im Frühjahr 2021 einen konkreten Lösungsvorschlag unterbreiteten, dessen grundsätzliche Umsetzbarkeit von der Stadt nicht bestritten wurde. Die Deutsche Bahn selbst hat 2018 eine Machbarkeitsprüfung zur Aufrechterhaltung der Gäubahn erarbeitet – mit positivem Ergebnis.
Dass die Stadt Stuttgart die Gleisflächen zügig für die Wohnbebauung nutzen möchte, ist aus Sicht der Verbände verständlich, rechtfertigt jedoch nicht die Unterbrechung einer so wichtigen Schienenstrecke. Diese Unterbrechung ginge zulasten der vielen Pendler und Fahrgäste in Baden-Württemberg und darüber hinaus. Den Versuch der Bahn, die Kappung als temporäre Unterbrechung der Strecke darzustellen, wie sie etwa bei Reparaturen zulässig ist, und nicht als Stilllegung, bezeichnen die Verbände angesichts einer geschätzt zehnjährigen Unterbrechung als offensichtlich widersinnig.
Kritik üben die Verbände auch an Aussagen der Bahn, wonach sie die Strecke ohne weitere eisenbahnrechtliche Genehmigung sperren werde. Dieses Vorgehen wäre rechtswidrig und damit inakzeptabel. Zudem seien die Gleisflächen dem Schienenverkehr gewidmet. „So wie eine Gemeinde nicht einfach eine Straße schleifen darf, um dort Wohnungen zu bauen, so dürfen Bahn und Stadt nicht ohne formale Umwidmung eine Gleisfläche zu Bauland erklären“, sagt Bronner.
Dass die Bahn auf Planfeststellungsbeschlüsse aus den nuller Jahren verweist, sei in diesem Fall irrelevant. In keinem Planfeststellungsbeschluss ist eine mehr als sechsmonatige Unterbrechung genannt. Somit ersetzen sie weder ein Stilllegungsverfahren noch eine formale Umwidmung der Flächen.
Hintergrund
Die Deutsche Bahn AG möchte die Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof abschneiden. Sie begründet das damit, dass die Gäubahn bei Stuttgart21 über den Flughafen und nicht via Panoramabahn-Vaihingen an die Innenstadt angebunden werde. Dieses Vorgehen beruhte auf einer überholten Planung, wonach die Strecke via Flughafen etwa gleichzeitig mit S21 fertig werden sollte. Nach derzeitigem Planungstand wird die Gäubahn jedoch erst 2035 oder später via Flughafen an den neuen Hauptbahnhof angeschlossen – über den elf Kilometer langen Pfaffensteigtunnel.
Die Umwelt- und Fahrgastverbände fordern, für die Bauzeit bis etwa 2035 die Gäubahn weiterhin via Panoramabahn an den Hauptbahnhof zu führen. Sie werden dabei unterstützt von einem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Urs Kramer von der Universität Passau. Demnach besteht die Betriebspflicht der Deutschen Bahn AG für die Gäubahn via Panoramabahn bis Stuttgart Hauptbahnhof fort.
Dieses Gutachten war gemeinsam von den Umwelt- und Verkehrsverbänden „Pro Bahn“, „Verkehrsclub Deutschland“ (VCD), „Landesnaturschutzverband BW“ (LNV), „Bund für Umelt und Naturschutz“ (BUND) und dem „Verein zur Förderung des Schienenverkehrs“ in Auftrag gegeben worden. Zwei weitere Rechtsgutachten, eines davon von der Stadt Stuttgart in Auftrag gegeben, bewerten die eisenbahnrechtliche Situation genauso.
Weitere Infos zur Gäubahn
Rechtgutachten von Prof. Kramer, Eilantrag des LNV an das Eisenbahnbundesamt und weitere Infos unter https://lnv-bw.de/gaeubahnkappung-lnv-stellt-antrag-beim-eba/
https://www.bund-bawue.de/themen/mensch-umwelt/stuttgart-21/rechtsgutachten-gaeubahn/
Pressemitteilung zum Download: PM zum Gäubahngipfel von LNV und proBAHN