EU-Wasserrahmenrichtlinie

Stellungnahme von LNV, BUND und NABU zu den Bewirtschaftungsplänen

an das Umweltministerium

1. Die Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme wurden sorgfältig erstellt.
Die Datenerhebung, die Darstellung und die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Erstellung der Pläne sind vorbildlich. Hier haben die Wasserbehörden trotz Verwaltungsreformen und teilweise angespannter personeller Verhältnisse eine große Leistung vollbracht.

2. Die Auswahl der Programmstrecken wäre weitgehend nachvollziehbar, wenn es sich nur um eine Priorisierung handeln würde – also um die Antwort auf die Frage „Was machen wir zuerst?“. Sie darf jedoch nicht dazu führen, dass an den Gewässern, die nicht als Programmstrecken ausgewählt sind, auf die Erreichung des guten ökologischen Zustands bis 2015 oder spätestens innerhalb der in der WRRL vorgesehenen Verlängerungsfristen bis 2027 verzichtet wird. Die Beschränkung auf Programmstrecken steht nach unserer Auffassung im Widerspruch zur Formulierung in Artikel 4 (1) ii der WRRL die Mitgliedstaaten schützen, verbessern und sanieren alle Oberflächenwasserkörper mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie einen guten Zustand der Oberflächengewässer zu erreichen. Der Stellungnahme des Umweltministeriums Baden-Württemberg vom 23.12.2008 zum Antrag von Dr. Gisela Splett MdL „Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie“, Drs. 143695, Ziffer 5, entnehmen wir, dass die Erreichung des ökologisch guten Zustands für die nicht als Programmstrecken ausgewählten Gewässer nicht beabsichtigt ist. Die Auffassung, dass mit der Umsetzung aller Maßnahmen an den Programmstrecken die ökologische Funktionsfähigkeit bezogen auf den ganzen Wasserkörper hergestellt sein wird, teilen wir nicht. Da die Priorisierung auf der Grundlage des Wanderungsbedarfes der Fische erfolgte, fehlt bei den Programmstrecken der größte Teil der Oberläufe und kleineren Bäche.
Dort kommen potentiell andere Arten vor als an den Unterläufen. Niemand kennt alle Funktionsbeziehungen in Gewässerökosystemen im Detail, aber es muss davon ausgegangen werden, dass auch die Arten der Oberläufe und kleinen Bäche eine Funktion im Gesamtökosystem haben, die sie nicht erfüllen können, wenn ihre Lebensräume naturfern verbaut oder zerschnitten sind.

3. Programmstrecken, die nicht ausgewählt wurden
Wir nennen – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit – Gewässerstrecken, die nicht als Programmstrecken ausgewählt wurden, an denen Maßnahmen zur Verbesserung des ökologischen Zustands dringend notwendig sind, um die ökologische Funktionsfähigkeit der Gesamtwasserkörper herzustellen:

3.1 die Schussen zwischen Ravensburg (B 33 Brücke) und Weingarten (Scherzachmündung).
Gerade hier sind ökologische Aufwertungen dringend erforderlich und auch machbar. So ist im Zusammenhang mit den Plänen zum Hochwasserschutz in Ravensburg eine Verbesserung der Gewässerstruktur auf mehreren Hundert Meter Länge gerade in Vorbereitung. Auch zwischen Scherzachmündung und Ummenwinkel sind zumindest im Deisenfang ökologische Aufwertungen sinnvoll und machbar. Der Lückenschluss ist auch im Hinblick auf die Biotopvernetzung und Verbesserung der Gewässergüte (bessere Regenwasserbehandlung, Verbesserung der Selbstreinigung durch Entfernung von Flussbausteinen am Ufer) erforderlich.

3.2 Die Scherzach im Siedlungsbereich von Weingarten.
Eine Verbesserung der Uferstruktur ist auch hier möglich und die Gewässergüte muss durch bessere Regenwasserbehandlung verbessert werden.

3.3 Die Wolfegger Ach von Kißlegg bis zur Mündung in die Schussen.
Gerade die Wassergüte-Probleme beim Kißlegger Obersee durch die landwirtschaftliche Nutzung im Einzugsgebiet erfordern Verbesserungen.

3.4 Die Oberläufe von Brettach einschließlich Bernbach, Ohrn einschließlich Michelbach sowie Bibers, Lauter und Fichtenberger Rot im Keupersandsteingebiet des Schwäbisch-Fränkischen Waldes.
Diese sind zwar überwiegend noch einigermaßen naturnah erhalten, weisen aber einzelne gravierende Beeinträchtigungen wie Wehre, Sohlabstürze und verbaute Uferabschnitte auf. Maßnahmen an den Unterläufen im lössüberdeckten Muschelkalk der Hohenloher Ebene können Maßnahmen an diesen Abschnitten nicht ersetzen, da es sich aufgrund von Geologie, Relief und Gewässerumfeld um sehr unterschiedliche Lebensräume handelt. Entsprechendes gilt für die Zuflüsse von Lein, Rems und Murr im südlichen Schwäbisch-Fränkischen Wald.

3.5 Die Oberläufe der Bäche im Bereich Stromberg, Heuchelberg, Zabergäu, östlicher Kraichgau (Wasserkörper 45-03, 46-01, 46-02), also Metter und Kirbach, Zaber mit Forstbach, Neipperger Bach und Herrenwiesenbach, Leinbach mit Massenbach, Böllinger Bach und Rappenauer Mühlbach, aber auch kleinere Bäche wie der Katzentalbach mit Breibach.
Sie sind zum erheblichen Teil begradigt und massiv verbaut, außerdem durch zahlreiche Wanderungshindernisse zerschnitten. Für die Funktionsfähigkeit des Gesamtwasserkörpers muss sicher nicht jeder einzelne dieser Bäche renaturiert werden, aber die Nichtberücksichtigung aller dieser Bäche wird dem Ziel der Erreichung des guten ökologischen Zustands nicht gerecht.
Die genannten Bäche und Bachabschnitte müssen nach unserer Auffassung in die Programmstrecken aufgenommen werden. Überdies muss noch einmal geprüft werden, welche Bäche darüber hinaus in die Programmstrecken aufgenommen werden müssen, um tatsächlich die ökologische Funktionsfähigkeit aller Wasserkörper herzustellen.

3.6 Zahlreiche Bäche, die in die Nagold fließen,
weisen interessante naturnahe Strukturen und teilweise artenreiche Biozönosen auf, sind aber durch Wanderungshindernisse zerschnitten und insbesondere im Mündungsbereich sehr renaturierungs-bedürftig. Diese Defizite lassen sich voraussichtlich mit überschaubarem Aufwand beheben. Für die ökologische Funktionsfähigkeit der Wasserkörper im Nordschwarzwald ist die Durchgängigkeit der Seitengewässer und ihre Anbindung im Mündungsbereich von entscheidender Bedeutung.

Wir nennen zwei Beispiele:
3.6.1. Die Waldach vom Ursprung bei Waldachtal bis zur Mündung in die Nagold
bei der Stadt Nagold (23,5 km). Dort kommen u.a. Groppe und Bachneunauge vor. Nach unserer Kenntnis gibt es dort vier problematische Sohlabstürze, die durchgängig gemacht werden müssten. Besonders problematisch ist die Situation im Mündungsbereich.

3.6.2 Der Tälesbach vom Ursprung in Althengstett bis zur Mündung in die Nagold
bei Hirsau. Der Mündungsbereich ist völlig naturfern: Totalverbau mit Betonschalen, Pflasterung, 20 m hoher Absturz. Dieser Bach ist vermutlich aufgrund der Isolation aktuell weitgehend fischfrei, hat aber das Potential zu einem ökologisch wertvollen Gewässer bei Verbesserung des Mündungsbereichs.

4. Gewässerrandstreifen
In Baden-Württemberg gilt mit § 68b Landeswassergesetz eine im bundesweiten Vergleich fortschrittliche Regelung zu Gewässerrandstreifen. Diese ist aber bisher rein defensiv angelegt, da sie zwar den Umbruch von Dauergrünland und die Anlage baulicher Anlagen verbietet, aber nicht verhindert, dass dort, wo schon bisher Ackerbau betrieben wurde, bis an die Böschungsoberkante gepflügt wird. Wir schlagen vor, in die Bewirtschaftungspläne die Extensivierung von Gewässerrandsstreifen – einschließlich der Nicht-Programm-Gewässer – und die Überführung in öffentliches Eigentum aufzunehmen, alternativ Ausgleichs- oder Pachtzahlungen an die Eigentümer. Diese Maßnahme hätte eine Vielfach-Wirkung für Wasserqualität, Gewässerökologie, Biotopvernetzung und Hochwasserschutz. Außerdem würden dadurch die Kosten für die Gewässerunterhaltung gesenkt.

5. Zeitplan
Der Zeitplan zur Erreichung des guten ökologischen Zustands bzw. des guten Potentials erscheint wenig ehrgeizig. Dieses Ziel soll bei 40 Fließgewässer-Wasserkörpern bis 2015, bei 78 bis 2021 und bei 39 erst 2027 erreicht werden.
Damit wird das Ziel der WRRL bei 74 % der Wasserkörper bis 2015 nicht erreicht. Im Bearbeitungsgebiet Donau wird es sogar von 78 %, im Bearbeitungsgebiet Oberrhein von 79% verfehlt. Die WRRL sieht die Fristverlängerung als Ausnahme vor, nicht als Regel. Die Begründungen für die Fristverlängerungen in den Plänen sind teilweise äußerst knapp und nicht immer einsichtig, insbesondere bei Verweisen darauf, dass die technische Durchführbarkeit nur schrittweise möglich sei. Wir erwarten, dass das Land die Mittel bereit stellt, um wenigstens in den Fällen, in denen auf Kostengründe verwiesen wird, eine schnelle Zielerreichung zu ermöglichen.

6. Finanzierung
Wir weisen darauf hin, dass die Finanzierungsberechnungen des Umweltministeriums von mehreren optimistischen Annahmen ausgehen, da Mittel der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, der Kommunen (bei Gewässern 2. Ordnung) und der Wasserkraftbetreiber mit angesetzt werden. Erfahrungsgemäß tun Kommunen in der Regel wenig für die Gewässerökologie, wenn sie nicht mindestens 50% Förderung vom Land erhalten. Auch aus diesem Grund halten wir eine Erhöhung der Landesmittel für erforderlich, um den vorgesehenen Zeitplan beschleunigen oder wenigstens einhalten zu können.

7. Beteiligung der Öffentlichkeit
Wie einleitend bereits dargelegt halten wir die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Aufstellung der Bewirtschaftungspläne für beispielhaft. Dafür ist insbesondere die durch die Wasserwirtschaftsverwaltung des Landes geleistete regionale Öffentlichkeitsbeteiligung entscheidend. Bei dieser hatten die Beteiligten die Chance an der Formulierung ganz konkreter ortsbezogener Maßnahmen mitzuwirken. Aus unserer Sicht sollte die Öffentlichkeit in konsequenter Fortführung dieses Handelns nun auch kontinuierlich über die Umsetzung der konkreten Maßnahmen informiert werden.
Wir fordern daher, dass Vertreter der unterzeichnenden Verbände durch das Umweltministerium oder die zuständigen Flussgebietsbehörden einmal jährlich konkret darüber unterrichtet werden, welche Maßnahmen umgesetzt werden
konnten, für welche Maßnahmen konkrete Planungen bzw. Genehmigungsverfahren eingeleitet werden konnten und welche Maßnahmen aus welchen Gründen nicht umgesetzt werden konnten. Nach unserer Kenntnis verfügt die Verwaltung über digitale Instrumente zur Dokumentation der Umsetzung der WRRL, mittels derer diese Information ohne wesentlichen Mehraufwand für die Mitarbeiter der Wasserwirtschaft geleistet werden kann.

Stellungnahme zu den WRRL-Bewirtschaftungs-Plänen

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