LNV-Stellungnahme vom 15.4.2013 an das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur
Der Entwurf beinhaltet im Wesentlichen eine Liste der Schienenprojekte, die der LNV und seine Mitgliedsverbände – oft seit Jahren – als vordringlichen Bedarf einstufen und einfordern.
Der LNV wird diese Liste nicht um weitere Projekte erweitern, sondern mahnt vielmehr die zügige Umsetzung aller in dieser Mindestbedarfsliste aufgeführten Maßnahmen an. Natürlich gäbe es noch viele wünschbare und sinnvolle Projekte, die wir hier anfügen und auch gut begründen könnten. Doch sollte nach Überzeugung des LNV im Schienen-BVWP nicht der gleiche Fehler gemacht werden wie im Straßen-BVWP-Wunschkatalog der vergangenen Jahre mit dessen grotesk überzogenem Projektvolumen. Wir befürworten einen BVWP mit einem vordringlichen Programm, das tatsächlich innerhalb der Laufzeit des BVWP mit etwas Ehrgeiz und einer dem Straßenbau vergleichbaren Finanzausstattung weitgehend abgearbeitet werden kann.
Wir denken dabei insbesondere an Projekte, die im aktuellen BVWP stehen, aber längst nicht mit dem nötigen Nachdruck bearbeitet wurden, in einem ungewissen Planungsstadium verharren, ohne erkennbare Fortschritte sind oder nach Baubeginn nur sehr schleppend vorankommen.
Beispielhaft seien hier genannt:
• die Gäubahn (seit 30 Jahre nur vage Zusagen, erst seit 2011 konkrete Planung),
• die Südbahn, deren Ausbau immer mehr in die Zukunft verschoben wird,
• die Rheintalbahn
(z.Z. 20 Millionen jährliche Investition, bei einer noch zu erwartenden Gesamtinvestition von 2 Mrd. €),
• der Korridor Mannheim – Frankfurt.
Der LNV schlägt vor, den Rückstand im Schienenbereich im Vergleich zum Straßenbau durch eine Regelung auszugleichen, die über ein 50:50-Verhältnis hinausgeht und ähnlich wie im Schienen-Nahverkehr in Baden-Württemberg einen Verteilungsschlüssel von 60:40 zugunsten der Schiene anstrebt. Damit würden die bahnbezogenen Ausgaben pro Jahr und Bürger etwas näher an den Schweizer Wert heranreichen, der mit 3000.- € etwa fünfmal höher liegt als in Deutschland und der vorhersehbaren enormen Bedeutung der Schiene für Mobilität und Umwelt in der Zukunft gerecht wird.
Für den LNV ist der Nachholbedarf sicher nicht nur finanzieller Art, sondern auch dadurch begründet, dass im Straßenbau weit mehr Planungs- und Durchführungskapazität und -Kompetenz besteht. Das Verkehrsministerium ist aufgerufen, diesen Mangel zu heilen, besonders in Voraussicht einer Situation, in der der motorisierte Individualverkehr aus Umweltgründen und wegen „peak-oil“ nicht mehr die heutige Bedeutung haben wird.
Der LNV fordert, das Projekt S21 in keiner Weise im neuen BVWP aufzunehmen, da dessen Nutzen-Kosten-Verhältnis ungenügend ist, der verkehrliche Nutzen für das Land zweifelhaft und der hohe Finanzbedarf andere Projekte gefährdet. Nach Ansicht des LNV ist darauf zu achten, dass insbesondere im Rheintal übertriebene Hochgeschwindigkeitsplanungen (> 200 km/h) nicht unnötig zu Verteuerung, schlechter Energiebilanz, Verlärmung und ökologischen Belastungen führen.
Es sollte das in der Schweiz praktizierte Prinzip angewendet werden: Nicht so schnell wie möglich, sondern so schnell wie nötig für die optimale Netzwirkung. Der LNV plädiert dafür, die Güterumfahrungsstrecke in Offenburg aus städtebaulichen und ökologischen Gründen im Tunnel zu verlegen. Der LNV hält es für betrieblich geboten, die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke zu nutzen für den 2-gleisigen Ausbau des 20 km langen Abschnitts Waldshut – Erzingen, der heute schon überlastet und Ursache vieler Verspätungen ist. Unverständlich ist, dass die Strecke Tübingen-Horb in der Planung nicht für Elektrifizierung vorgesehen ist.
Die internationale Reaktivierung (Freiburg-) Breisach – Colmar hält der LNV für besonders bemerkenswert, da mit einem relativ geringen Aufwand ein großer verkehrlicher Nutzen erreicht wird. Eine durch den 2. Weltkrieg geschlagene Lücke würde endlich geschlossen und die geschichtlich, kulturell und wirtschaftlich eng verflochtenen, transnationalen Großräume Freiburg und Colmar ökologisch verträglich wieder miteinander verbunden. Ein europäisches Projekt muss ja nicht immer abstrakt und überdimensional sein, sondern nachbarschaftlich im besten Sinn. Die 50-jährige deutsch-französische Freundschaft sollte an Stelle großer Feierlichkeiten durch eine solche konkrete Aktion neu belebt werden. Das hohe Fahrgast-aufkommen auf deutscher Seite weist darauf hin, dass auch in der Relation Breisach – Colmar ein hohes Fahrgastpotential vorhanden ist, das heute weitgehend auf die Straße verlagert ist oder auf Grund der verkehrlich ungünstigen
Situation unterentwickelt ist.
Auffällig ist, dass nahezu alle Schienenprojekte wieder parallel von einem geplanten Ausbau von Autobahnen oder Bundesstraßen begleitet werden sollen. Für den LNV ist dieses Festhalten an der unvernünftigen Doppelausbauförderung unverständlich:
Wir lehnen den bahnparallelen Ausbau von Straßen im Grundsatz ab, weil dadurch Personen- und Güterverkehr von der Schiene auf die Straße umgelenkt wird und doppelte Ausgaben volkswirtschaftlich nicht zu verantworten sind. Der BVWP hat seine Ziele der Verlagerung von motorisiertem Personen- und Güterverkehr auf die Schiene auch aufgrund dieser Doppelförderung weit verfehlt. Der LNV erwartet, dass Politik und Verwaltung den Verkehr endlich aktiv und konsequent in Richtung umweltfreundlichen ÖV lenken und sich nicht länger vom motorisierten Individual- und Güterverkehr und deren Interessensvertretern lenken lassen.
Die dem BVWP zugrundeliegenden Prognosen über Straßenverkehr sind im Übrigen weitgehend unbrauchbar, weil sie von einem Straßennetz ausgehen, bei dem alle im BVWP als vordringlich eingestuften Straßenvorhaben realisiert sind. Damit wird mit Verkehrsströmen gerechnet, die es gar nicht gibt (induzierter Verkehr), und die es aus LNV-Sicht durch lenkende Verkehrspolitik auch zu verhindern gilt. Im Übrigen wünscht der LNV dem Verkehrsministerium im Bund und Land gutes Gelingen bei der weiteren Planung, Finanzierung und Realisierung der von Baden-Württemberg vorgeschlagenen Bahnprojekte, die in ihrer Gesamtheit zu einer zukunftsfähigen und umweltverträglichen Verkehrsentwicklung in unserem Land beitragen werden.
Die LNV-Stellungnahme zum Herunterladen: