Für einen ehrlichen Naturschutzausgleich! Resolution

Für einen ehrlichen Naturschutzausgleich!

Resolution beim LNV-Zukunftsforum am 11.11.2023 zur Kompensation von Eingriffen in die Natur

LNV-Info 4/2023
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Einleitung

In einem Land, das sich schnell verändert, dessen Bevölkerung und die Konsumansprüche zunehmen, wird es wohl immer Eingriffe in den Naturhaushalt geben. Allerdings beanspruchen wir die Natur als Lebensraum von Tieren und Pflanzen bereits heute übermäßig stark und verlieren so Biodiversität. Die Idee, es dürfte keinen Nettoverlust mehr für die Natur geben („no net loss“) ist deshalb grundsätzlich richtig. Umgesetzt ist sie in der naturschutzrechtlichen und baurechtlichen Pflicht, Ein-griffe in den Naturhaushalt auszugleichen.
Im Idealfall findet der Ausgleich funktionsgleich und ortsnah zum Eingriff statt. Das ist aber aus verschiedenen Gründen nicht immer möglich – manchmal auch nicht sinnvoll. Ein Amphibienlaichgewässer, das durch einen Straßenbau zerstört wird, sollte nicht direkt neben der Straße neu angelegt werden. Und eine Waldrodung in einem waldreichen Gebiet durch die Neuaufforstung einer kulissenarmen Talaue, in der Feldvögel leben, zu kompensieren, wäre ebenso Unsinn. Die Regelung, dass der Ausgleich auch andernorts im selben Naturraum 3. Ordnung erfolgen kann und auch nicht zwingend derselbe Biotoptyp sein muss, ist also unter bestimmten Umständen sinnvoll.

Handhabung der Ausgleichspflicht in der Praxis

Dennoch ist die Art und Weise, wie die Ausgleichspflicht gehandhabt wird, mit großen Defiziten behaftet. Von ihrem Ziel, weiteren Nettoverlust zu vermeiden, ist sie weit entfernt. Für Baden-Württemberg wurden die Defizite in der Evaluation der Ökokontoverordnung zwar klar benannt, bisher ohne Konsequenzen. Im Einzelnen gibt es folgende Defizite:

  • Die gesetzlich vorgegebene Hierarchie „Vermeiden – Vermindern – Kompensieren“ wird in der Praxis häufig vernachlässigt und die beiden ersten Stufen werden übersprungen. In der strategischen Umweltprüfung der EU ist die Prüfung der Nullvariante verpflichtend – in der Praxis wird das häufig nicht oder nur oberflächlich umgesetzt.
  • Das Bewertungssystem der baden-württembergischen Ökokontoverordnung für die Bilanzierung von Eingriffen und Ausgleich ist grundsätzlich gut geeignet. Einige Details haben sich in der Praxis freilich als fehleranfällig erwiesen und zu Fehlsteuerungen geführt, beispielsweise bei der Bewertung von einzelnen Arten, bei der monetären Bewertung von punktuellen Ausgleichsmaßnahmen oder bei Bodenkompensationsmaßnahmen. Die Bewertungsspannen bei den Biotoptypen werden häufig missbräuchlich genutzt (niedere Bewertung des Ausgangszustandes, hohe Bewertung der Kompensation bzw. des Zielzustandes).
  • Es besteht kein zuverlässiges System der Kontrolle, ob die Ausgleichsmaßnahmen überhaupt umgesetzt wurden und ob sie sachgerecht unterhalten werden, weder beim naturschutz- noch beim baurechtlichen Ausgleich.
  • Die naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen müssen zwar in einer öffentlich zugänglichen Internetplattform dokumentiert werden (die übrigens seit einigen Jahren mit schweren Programmfehlern behaftet ist). Die Eintragungen sind aber in vielen Landkreisen weder vollständig noch auf aktuellem Stand. Dadurch ist es Außenstehenden (Bürger*innen, Naturschutzverbänden) nicht möglich, die Umsetzung der Maßnahmen zu kontrollieren.
  • Baurechtliche Ausgleichsmaßnahmen übersteigen die naturschutzrechtlichen in ihrer Flächenrelevanz bei weitem. Ausgerechnet dort gibt es jedoch bis heute keinerlei etablierte Standards: es gibt kein vorgegebenes Bewertungsverfahren, was in manchen Fällen zu eher verbalem als realem Ausgleich führt. Zum Glück wenden die meisten Kommunen aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit das Bilanzierungsverfahren der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung an.
  • Beim baurechtlichen Ausgleich ist zwar ebenfalls eine zentrale öffentliche Dokumentation gesetzlich vorgesehen, es wurde jedoch jahrelang versäumt, hierfür die Voraussetzungen (Internet-Plattform) zu schaffen. Es gibt eine Plattform, die freiwillig verwendet werden kann. Sie ist aber funktional völlig unzureichend und wird kaum genutzt.
  • Noch weniger als beim naturschutzrechtlichen Ausgleich gibt es beim baurechtlichen Ausgleich eine Kontrolle der Umsetzung. Beispielhafte Untersuchungen haben gezeigt, dass oft nur die Hälfte der festgesetzten Maßnahmen halbwegs fachgerecht hergestellt wurden, noch existieren und fachgerecht unterhalten werden.
  • Die monetäre Bewertung punktueller Ausgleichsmaßnahmen nach dem „Herstellungskostenansatz“ führt zu einer künstlichen Aufblähung der Kosten, weil damit netto Geld verdient werden kann (z.B. Herstellung von Trockenmauern, durchlässiger Umbau von Wehren). Mit jedem eingesetzten Euro werden Ökopunkte im Wert von 3-4 Euro geschaffen. Der Passus der Ökokontoverordnung, dass dennoch ein angemessenes Verhältnis von Ausgleich und Eingriff bestehen muss, ist schwammig formuliert und wird in der Verwaltungspraxis kaum angewandt. Auch die geforderte flächige Wirkung wird vernachlässigt.
  • Insbesondere bei Einzelbauvorhaben und Bebauungsplänen werden oft aus Zeitdruck Ad-hoc-Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt, die möglichst billig und oft fachlich fragwürdig sind. Maßnahmen, die unabhängig vom Eingriffsprojekt vorab durchgeführt wurden (Ökokonto) sind in der Regel besser geeignet, die Ausgleichsziele zu erreichen. Naturschutzbehörden und -verbände werden oft erst spät mit fertigen Plänen konfrontiert, so dass eine Optimierung im Sinne der Ausgleichsregelung nicht mehr möglich ist. Dadurch entsteht ein Kompensationsbedarf, der bei einer besseren Planung geringer ausfallen könnte.
  • Insbesondere kleinere Kommunen sind bei ihren Pflichten im Zusammenhang mit der Kompensation von Eingriffen fachlich und personell überfordert. In der Region Bodensee-Oberschwaben und im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald wurden deshalb Institutionen geschaffen, die die Kommunen dabei unterstützen und ihnen gegen Entgelt einen Teil dieser Pflichten abnehmen. In anderen Regionen und Gemeinden übernehmen entsprechend qualifizierte Planungsbüros diese Aufgaben. Die Erfahrungen sind gut.
  • Das Landschaftsbild ist nach dem Naturschutzgesetz unabhängig von Biotopen und Arten in der Ausgleichsregelung zu berücksichtigen. Tatsächlich wird es aber bei Planungen (mit Ausnahme von Windkraftanlagen) und leider auch der Rechtsprechung völlig marginalisiert. Der Eingriff wird wenig ernst genommen („subjektive Einschätzung“, „erhebliche Verunstaltung“) und was an Ausgleich festgelegt wird, ist meist völlig ungeeignet, um „das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu zu gestalten“ (BNatSchG).

Auf Bundesebene ist nach einem Koalitionsbeschluss vorgesehen, den Vorrang der Realkompensation vor Kompensationszahlung aufzugeben. Dies ist eine systemfremde Idee, der entschieden entgegengetreten werden muss. Bisher sind die Eingreifenden dafür verantwortlich, neben der Kostentragung auch für die Bereitstellung von Flächen für die Kompensationsmaßnahmen zu sorgen. Der Naturschutz hätte nichts von Kompensationsgeldern, wenn die Flächen für deren Einsatz fehlen. Einem realen Eingriff muss eine reale Kompensation gegenüberstehen!

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Zukunftsforums Naturschutz fordern daher:

  • Konsequentere Berücksichtigung der Eingriffs-Hierarchie „Vermeiden – Vermindern – Kompensieren“ und rechtliche Vorgaben hierzu. Ein verbindlicher Scoping-Termin auch bei Bebauungsplänen ist geeignet, durch Verminderung des Eingriffs den Kompensationsbedarf zu verringern.
  • Umgehende Einrichtung der Dokumentationsplattform für alle Kompensationsmaßnahmen.
  • Bis 2025 Eintragung aller in der Vergangenheit umgesetzten Kompensationsmaßnahmen in dieser Plattform.
  • Modifizierung des Bewertungssystems der Ökokontoverordnung gemäß den Empfehlungen aus der Evaluation zur Behebung der oben genannten Missstände.
  • Eingriffe in den Boden sollen mit deutlich mehr Ökopunkten bewertet werden.
  • Behördliche Überwachung der Umsetzung, Unterhaltung und des gemeindlichen Monitorings der Ausgleichsmaßnahmen für Bebauungspläne.
  • Bei privaten Vorhaben Sicherung der Umsetzung der Maßnahmen durch Erhebung einer Sicherheitsleistung in Höhe der erwarteten Kosten der Maßnahmen für Anlage und dauerhafte Pflege.
  • Die Verankerung von Qualitätsstandards beim Verfahren und der Umsetzung des bauplanungsrechtlichen Ausgleichs im Baugesetzbuch. Bilanzierungsverfahren müssen fachlich korrekt und plausibel sein und müssen Mitnahmeeffekte ausschließen. Auch Unterhaltung, Überwachung und Monitoring müssen qualifiziert geregelt werden.
  • Für produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen (PiK) sollen Verfahrens- und Umsetzungsstandards eingeführt werden, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.
  • Es muss eine eindeutige Regelung getroffen werden, wer für die Unterhaltung von Kompensationsmaßnahmen nach Auslaufen des 25-30jährigen Pflegepflicht verantwortlich ist.
  • Fachlich wenig qualifizierte ad-hoc-Maßnahmen sollen von den Behörden nicht mehr akzeptiert werden. Kommunen sollen angehalten werden, bevorzugt Maßnahmen aus Ökokonten zu verwenden und einen Vorrat an qualifizierten Ausgleichsmaßnahmen aufzubauen. Eingreifende sollen angehalten werden, auf qualifizierte Ökokonto-Maßnahmen zurückzugreifen.
  • Das für die Bauleitplanung zuständige Ministerium muss dafür sorgen, dass ein flächendeckendes Netz von Agenturen oder anderen Angeboten geschaffen wird, die Kommunen und kommunale Zusammenschlüsse beim Ausgleich, der Einrichtung von Ökokonten und bei der Entwicklung von Ökokontomaßnamen unterstützen (Modell REKO).
  • Es muss eine verbindliche Methode entwickelt und eingeführt werden, um Eingriffe ins Landschaftsbild zu bewerten und auszugleichen. Hierzu sind bestehende Ansätze (z.B. Uni Stuttgart, HfWU Nürtingen Regionalverband Bodensee-Oberschwaben) weiterzuentwickeln.
  • Allen Überlegungen, den Vorrang der Realkompensation vor Ausgleichszahlungen aufzugeben (siehe Koalitionspapier der Bundesregierung), ist entschieden entgegenzutreten. Sie sind kontraproduktiv und widersprechen dem Grundgedanken des Bundesnaturschutzgesetzes.

 

Stuttgart 11.11.2023

Einstimmig verabschiedet von den Teilnehmenden des Zukunftsforums Naturschutz „Sein oder Schein? Lassen sich Eingriffe in die Natur ausgleichen? Vom Sinn und Widersinn der Kompensationsregelungen“ am 11.11.2023 in Stuttgart.

Tagungsbericht Zukunftsforum

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