Luftreinhalteplan Stuttgart

LNV-Info 4/2010

Dieses Info ist nicht mehr aktuell, es gehört zur „Geschichte des Landesnaturschutzverbandes“.

Das politische Trauerspiel hat sich bis ins Jahr 2020 fortgesetzt. Maßnahmen zur Luftreinhaltung wurden auch unter einem grünen Ministerpräsidenten nur dann ergriffen, wenn – auf Grund von Klagen der „Deutschen Umwelthilfe“ – ein Gericht das Land und die Stadt dazu gezwungen hat. Hierzu mussten mehrfach Zwangsgelder verhängt werden.

Ein Rückblick: Ein politisches Lehrstück

Aktuelle Situation

Das zurückliegende Jahr 2009 – das Jahr 4 nach Inkrafttreten des Luftreinhalte- und Aktionsplanes für die Landeshauptstadt Stuttgart – zeichnete sich wieder einmal durch horrende Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte aus. In der zugrunde liegenden Rechtsverordnung wurden diese medizinisch begründet bewusst für höchstbelastete Bereiche am Rand von Hauptverkehrsstraßen festgesetzt. Zum Jahresende hatte sich die „Anzahl der Tage mit Feinstaub (PM 10)-Tagesmittelwerten, die 50µg/m³ überschreiten“ beim Messort Stuttgart „Am Neckartor“ auf 112 aufsummiert. Die Vergleichszahl vom Messort Stuttgart-Mitte „Hohenheimer Straße“ betrug 43. Die Verordnung erlaubt jedoch nur 35 Überschreiungstage.

Bei der Schadstoffkomponente Stickstoffdioxid lagen die Verhältnisse noch krasser auseinander:
Das Kurzzeitkriterium „der Stundenmittelwert überschreitet 200 µg/m³“ war im Jahr 2009 am Neckartor 499 mal gegeben, in der Hohenheimer Straße, einer Straße mit großem Wohnanteil, sogar 629 mal! Seit 2005 beträgt der entsprechende Grenzwert nur jährlich 175 Überschreitungsstunden. Das Desaster erhält jedoch noch eine Steigerung durch den Umstand, dass ab dem 1. Januar 2010 durch Rechtsverordnung (22. BImSchV) ein zehnmal niedriger Grenzwert von nur noch 18 (!) Überschreitungsstunden festgelegt ist. Gleichzeitig gilt mit dem Jahr 2010 ein sehr niedriger Jahresmittelwert der Stickoxidbelastung von 40µg/m³ als Langzeitgrenzwert, der im Jahr 2009 an keiner der landesweiten Stationen des Spotmessnetzes eingehalten wurde und in den Stuttgarter Hauptverkehrsstraßen gewöhnlich als überschritten gilt.

Wie bei Jahresanfang zu erwarten war, hat die Landeshauptstadt bereits zum Stand 8. März 2010 das neue Jahreskontingent von 18 zulässigen Stickoxid-200µg/m³-Überschreitungsstunden am Neckartor mit 68 und in der Hohenheimer Straße mit 117 Fällen um das 3,8 bzw. 6,5 fache überschritten. Auch die Feinstaubbelastung hat innerhalb zweier Monate ihr „Jahressoll“ zumindest teilweise erbracht: Am Neckartor gab es bis zum Auswertungsstichtag 28. Februar 38 und in der Hohenheimer Straße „erst“ 23 Überschreitungstage der im ganzen Jahr zulässigen 35 Tage mit Tagesmittelwerten über 50 µg/m³ Feinstaub.

Eine besondere Brisanz erhalten diese Angaben vor dem Hintergrund, dass sich wegen des bis heute praktisch wirkungslosen Luftreinhalte-/Aktionsplans auf Antrag Stuttgarter Bürger das Verwaltungsgericht Stuttgart mit den bislang konzipierten bzw. umgesetzten Maßnahmen befassen musste und diese im Sinne eines Aktionsplanes für ungeeignet eingestuft hat (Beschluss vom 14. August 2009). Nach Auffassung des Gerichtes hat keine (!) der dargestellten Maßnahmen den Anforderungen genügt. Das dafür zuständige Regierungspräsidium Stuttgart wurde dazu „verurteilt“, bis zum 28.02.2010 einen Aktionsplan mit fortgeschriebenen, wirksamen Maßnahmen vorzulegen. Dieser fortgeschriebene Aktionsplan Stuttgart konnte in der Zeit vom 3. März bis 24. März 2010 im Rathaus der Stadt Stuttgart eingesehen werden. Fazit des Landesnaturschutzverbandes: Der Berg hat gekreißt und eine Maus geboren!

Neu festgesetzt wurde ein unbefristetes LKW-Durchfahrtsverbot durch das Stadtgebiet von Stuttgart (allerdings unter Ausnahme der B10 mit Abzweigungen nach B14 Richtung Waiblingen und B27/B27a Richtung Kornwestheim).
Ferner wurden in der Umweltzone Stuttgart die Fahrverbote gemäß Plakettenregelung zeitlich vorgezogen, so dass ab Juli 2010 nur noch Kfz mit grüner oder gelber Plakette frei Fahrt haben und ab 1. Januar 2012 nur noch solche mit grüner Plakette.
Zwei weitere Maßnahmen offenbaren wiederum die kleinräumige Fixierung der Maßnahmen auf den Messort Neckartor und dessen Feinstaublastigkeit, nämlich das Aufbringen des PM10-Bindemittels Calcium-Magnesium-Acetat (CMA) im Winterhalbjahr auf der B14 im Bereich des Neckartores sowie eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der B14 von derzeit 60 km/h auf künftig 50 km/h im fraglichen Abschnitt zwischen Heilmannstraße und Schwanenplatz.

Beachtenswert: Es waren nicht etwa gewählte Volksvertreter, denen es im Landtag gelungen wäre, eine Verbesserung des Luftreinhalteplans durchzusetzen, sondern Stuttgarter Bürger und ihre Rechtsanwälte. Vor dem Hintergrund des geradezu unglaublichen Sachverhaltes, dass eine Behörde zu rechtmäßigem Handeln verurteilt werden muss, verwundert es nicht, dass auch im aktuellen zweiten Anlauf für einen wirksamen Luftreinhalteplan die zahlreichen Anregungen des LNV und anderer Umweltverbände weitgehend unberücksichtigt blieben.

Wie konnte das passieren?

Fehlentscheidungen, vermischt mit dem „Aussitzen“ von Problemen – so lassen sich die Vorgänge mit dem derzeitigen Luftreinhalte- und Aktionsplan wohl am ehesten charakterisieren. Dabei umfasst der Begriff „Luftreinhalteplan“ den langfristigen Aspekt und „Aktionsplan“ die kurzfristig wirkenden Maßnahmen.

Blicken wir zurück: Mit der 22. BImSchV vom 11. September 2002 ist durch Überleitung verbindlicher Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft (Luftqualitätsrahmenrichtlinie-96/92EG vom 27.09.1996 mit Ihren Tochterrichtlinien) eine neue nationale Rechtsgrundlage für die Luftreinhaltepolitik geschaffen, die durch wesentlich höhere Anforderungen an gesundheitsbezogene lufthygienische Standards gekennzeichnet ist. Seit 2002 ist ein ausreichend langer Übergangszeitraum vergangen, der eine entsprechende Adaption der Luftreinhaltepolitik an die neuen Vorgaben ermöglicht hätte. Nicht nur in Baden-Württemberg, sondern bundesweit wurden jedoch – damals noch ohne Folgen – die seinerzeit geltenden schwächeren Grenzwertkriterien weitgehend ignoriert. Insbesondere wurde versäumt, die Lösung der Abgas-Immissionsproblematik durch eine veränderte Verkehrspolitik anzugehen. Der von der Automobilwirtschaft favorisierte und von der Politik begeistert aufgenommene fahrzeugtechnische Lösungsansatz musste aber mit dem in Folge des Mobilitätswahnes anwachsenden Straßenverkehrs zwangsläufig ins Leere gehen.

Das vollständige LNV-Info finden Sie hier:

LNV-Info 4/2010