Wann sind vorbereitende Maßnahmen zur Gäubahnkappung unumkehrbar?
Mit Schreiben vom 12. Dezember hat der Landesnaturschutzverband (LNV) das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) nach dem Sachstand seines Widerspruchsverfahrens gefragt und die Deutsche Bahn (DB) gebeten mitzuteilen, wann bei den Planungen zur Gäubahnkappung der Punkt ohne Wiederkehr („Point of no Return“) erreicht ist, bei dem irreversible oder nur mit sehr hohem Aufwand wieder rückgängig zu machende Maßnahmen ergriffen werden. Diese Informationen sind wichtig, damit der LNV rechtzeitig, aber auch nicht unnötig früh Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht suchen kann.
Ausgangslage und aktueller Stand
Das Verfahren des LNV beim EBA gegen die von der DB für Sommer 2025 geplante Kappung der internationalen Zugverbindung Zürich – Stuttgart (sog. Gäubahn) in Stuttgart-Vaihingen tritt in die entscheidende Phase. In dem Verfahren geht es darum, dass der LNV als nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz antragsbefugter Verband im Juni 2022 beim EBA beantragt hat, die Zulässigkeit der Kappung eisenbahnrechtlich zu überprüfen. Drei Rechtsgutachten hatten die langjährige Kappung als unzulässig eingestuft. Statt vier bis sechs Monate soll die Unterbrechung nun mindestens sieben Jahre dauern, also mindestens 14 mal so lang wie ursprünglich geplant.
Das EBA – eine weisungsabhängige Behörde – hat, nicht überraschend, den Antrag des LNV zurückgewiesen. Hiergegen hat der LNV Widerspruch eingelegt und diesen Anfang November begründet.
Die Zeit läuft – Verhinderung irreversibler Schritte gegen die Gäubahn
Die Zeit gegen die Gäubahn läuft. Konkret würde es vor Gericht um eine so genannte einstweilige Anordnung gehen. Mit einer solchen Anordnung kann ein Verwaltungsgericht verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden. Über die Berechtigung des Anliegens des Verbandes würde dann erst in einem sich anschließenden sog. Hauptsacheverfahren entschieden. Vorläufig verhindert werden könnten mit einer einstweiligen Anordnung vorbereitende Maßnahmen zur Einstellung des Zugbetriebs und insbesondere Eingriffe oder gar der Abbruch des Gäubahndamms etwa 2,4 km vor dem Hauptbahnhof. Die DB will diesen abtragen.
Machbarkeit eines temporären Beibehalts der Gäubahn nachgewiesen
Der LNV und andere Verbände haben aber nachgewiesen, dass wegen einer von der Bahn selbst gewählten veränderten Bauausführung der Erhalt des Gäubahndamms der Realisierung des Projekts Stuttgart 21 bis auf Weiteres nicht im Wege steht.
Die Verbände stützen sich dabei auf eine eigene Untersuchung der Deutschen Bahn von 2018. Danach ist mit einem baulichen Aufwand von etwa 1,5 Millionen Euro ein Weiterbetrieb der Gäubahn möglich, bis die Neuführung der Gäubahn durch den geplanten Pfaffensteigtunnel zwischen Böblingen und Flughafen zum Hauptbahnhof fertig gestellt ist. Das soll laut Deutscher Bahn Ende 2032 der Fall sein. Bis dahin müssen die Fahrgäste der Gäubahn kurz vor dem Hauptbahnhof in Stadtbahnen und in – oft überfüllte und nicht selten unpünktliche – S-Bahnen umsteigen.
Nirgendwo in Europa und wohl auch in der Welt wird eine täglich von tausenden Fahrgästen genutzte Bahnstrecke stillgelegt. Viele Bahnreisende und Pendler würden wegen dieser Verschlechterung aufs Auto umsteigen, mehr Verkehr verursachen – mit der Folge von Mehremissionen an klimaschädlichen Treibhausgasen, Luftschadstoffen und Lärm.
Kompromisslose Haltung der Landeshauptstadt Stuttgart
Neben der Deutschen Bahn wehrt sich auch die Landeshauptstadt Stuttgart vehement gegen fahrgastfreundliche Änderungswünsche und jede Einflussnahme von außen. Sie will so schnell wie möglich auf dem Gleisvorfeld die Gleise abreißen, Altlasten beseitigen und auf dem 85 Hektar großen Plangebiet mit der Vorbereitung der baulichen Entwicklung beginnen. Doch würde ein vorübergehender Erhalt der Gäubahn davon nur einen Bruchteil, etwa 6-8 ha beanspruchen. Die Stadt begründet ihr Vorgehen aber unter anderem mit dem Argument, das Gelände gehöre bereits ihr (seit 2001). Rechtlich ist dies nicht stichhaltig. Jeder Grundstückseigentümer weiß, dass Grundstückseigentum allein nicht die freie Entscheidung über eine Bebauung beinhaltet. Zuvor muss ein Bebauungsplan geschaffen werden, der sich in die gesamte Rechtsordnung einschließlich Eisenbahnrecht einfügen muss.
Widerstand auch entlang der Gäubahnstrecke
Auch entlang der Gäubahnstrecke Stuttgart – Zürich regt sich in Bürgerschaft und Kommunen Widerstand gegen die Pläne der Bahn und der Landeshauptstadt. Ersatzlösungen wie eine (teure) Verlängerung der S-Bahn nach Horb am Neckar können die Nachteile für die südlich Horbs gelegenen Städte und Gemeinden wie zum Beispiel Rottweil, Tuttlingen, Spaichingen, Singen und Konstanz nicht beseitigen. Auch Verbindungen in die Schweiz, Baden-Württemberg wichtigstes Wirtschaftspartnerland, werden erschwert.
„Die Unterbrechung der Gäubahn“, so Stefan Frey, Vorstandsmitglied im LNV und dessen Referent für Verkehr, „kommt zu früh und dauert zu lang.“
Auch geplanter Nordhalt ändert nichts am Problem
Leider hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren der Eindruck verfestigt, dass die Verantwortlichen bei der Deutschen Bahn und der Stadt Stuttgart ihr bisher ohne Gesprächsbereitschaft verfolgtes starres Festhalten an der Gäubahnkappung nicht überdenken. Auch eine teilweise Weiterführung der Gäubahn bis zu einem noch zu bauenden Nordhalt in der Nähe des Nordbahnhofs wird an den grundsätzlichen Problemen nichts ändern. Auch dann müssen Fahrgäste etwa drei km vor dem Ziel in Stadtbahnen und S-Bahnen umsteigen. Das ist nicht nur umständlich, sondern führt oft noch dazu, dass Anschlusszüge nicht erreicht werden.
„Was will man den Bahnkunden eigentlich noch alles zumuten?“, fragt Gerhard Bronner, Vorsitzender des LNV. „Langjährige Verkehrsverlagerungen von der Schiene auf die Straße sind vorprogrammiert, gegen alle Vernunft und gegen alle umwelt- und verkehrspolitischen Ziele.“
„Somit wird uns“, so LNV-Verkehrsreferent Stefan Frey, „nichts anderes übrig bleiben, als Rechtsschutz durch ein unabhängiges Gericht zu beantragen.“