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Vorranggebiete für Windkraftanlagen in der Region Stuttgart

Gemeinsame Stellungnahme von
Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV)
Bund für Umwelt und Naturschutz Baden-Württemberg (BUND)
Naturschutzbund Baden-Württemberg (NABU)
zur Teilfortschreibung des Regionalplans für die Region Stuttgart
zur Festlegung von Vorranggebieten für regionalbedeutsame Windkraftanlagen

vom 1.2.2024

Die LNV-Stellungnahme erfolgt zugleich im Namen aller nach § 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) anerkannten Naturschutzvereinigungen: AG “Die Na-turFreunde” Baden-Württemberg (NF), AG Fledermausschutz Baden-Württemberg e.V. (AGF), Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Deutscher Alpenverein (DAV), Landesfischereiverband Baden-Württemberg (LFV), Landesjagdverband Baden-Württemberg (LJV), Naturschutzbund Deutschland (NABU), Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW), Schwäbischer Albverein (SAV) und Schwarzwaldverein (SWV).

Stellungnahme zum download (pdf)

Inhalt:

-Zusammenfassung
-Grundsätzliche Stellungnahme zur Planung
-Anhang mit Stellungnahmen zu den einzelnen Planungsflächen

ZUSAMMENFASSUNG

Der Windkraftausbau in der Region Stuttgart wird hinsichtlich des Klimaschutzes für not-wendig gesehen und grundsätzlich befürwortet. Gleichwohl müssen mit Blick auf die Bio-diversitätskrise die Auswirkungen auf den Naturhaushalt so gering wie möglich gehalten werden.
Wir fordern deshalb:

  • die Ausweisung weiterer Vorranggebiete entlang von Siedlungs-, Industrie-, Gewerbe- und Verkehrsflächen
  • die Bündelung von Windkraftstandorten in Windparks
  • den Orientierungswert der Windleistung für die Eignung der Vorranggebiete von 215 W/m² auf 190 W/m² herabzusetzen
  • keine Aufstellung von Windenergieanlagen in ökologisch besonders wertvollen, alten Waldgebieten
  • den vollständigen Verzicht auf Ersatzaufforstungen bei Vorranggebieten im Wald
  • Schwerpunkträume von windenergiesensiblen Vogel- und Fledermausarten der Kategorie B des Fachbeitrags Artenschutz von Vorranggebieten für Windenergieanlagen freizuhalten
  • die Berücksichtigung von regional bedeutenden Vogelzugkonzentrationskorridoren, wie diese durch vorhandene Daten aus Ornitho.de oder von mehrjährigen Beobachtungen erfahrener Vogelzug-Beobachter dokumentiert sind

GRUNDSÄTZLICHE STELLUNGNAHME ZUR PLANUNG

Ausweisung weiterer Vorranggebiete

Prämisse, Innen- vor Außenentwicklung nicht berücksichtigt
Die Planung widerspricht grundsätzlich der allgemeinen Prämisse, Innen- vor Außenentwicklung. Der Großteil der Vorranggebiete befindet sich im Freiraum (Grünzüge, Waldflächen, Landwirtschaftsflächen).

Vorranggebiete entlang von Siedlungs-, Industrie-, Gewerbe- und Verkehrsflächen besser
Wir fordern, dass weitere Vorranggebiete entlang von Siedlungs-, Industrie-, Gewerbe- und Verkehrsflächen ausgewiesen werden (z.B. Gewerbegebiete, Park- und Rastplätze entlang von Autobahnen etc.). Hier sind die Flächen bereits versiegelt. Strukturen, die für die Errichtung von Windkraftanlagen erforderlich sind (z.B. befestigte Straßen), sind bereits vorhanden. Darüber hinaus findet hier der Energieverbrauch lokal statt.
Um den Flächenverbrauch (Versiegelung von Böden) sowie den Eingriff in die Natur möglichst gering zu halten, sollten Vorrangflächen möglichst so festgesetzt werden, dass dort mehrere Windkraftanlagen installiert werden können. Eine Bündelung von Windkraftstandorten in Windparks erspart flächenintensive Erschließungen von Einzelstandorten. Grö-ßere Vorranggebiete ermöglichen darüber hinaus einen gewissen planerischen Spielraum innerhalb der ausgewiesenen Flächen. So können innerhalb der Planungsgebiete konfliktarme Stellen gesucht werden. Sind die ausgewiesenen Flächen dagegen klein, so kann bei auftretenden Konflikten, z.B. des Artenschutzes, kaum auf andere Standorte innerhalb des Vorranggebietes ausgewichen werden.

Informationen, weshalb einige Planungsflächen herausgenommen
Außerdem bitten wir um Hintergrundinformationen, weshalb einige Planungsflächen in der aktuellen Fassung des Regionalplans nicht mehr enthalten sind.

Windleistungsdichte

Winddargebotsschwelle von mindestens 215 W/m² zu hohe Einschränkung
Die vorliegende Auswahl möglicher Vorranggebiete in der Region Stuttgart definiert sich zunächst anhand des Winddargebotes. Als Informationsgrundlage, bezüglich der Windhöffigkeit im Maßstab der Regionalplanung, wird der Windatlas aus dem Jahr 2019 verwendet. Als Orientierungswert wird eine gekappte mittlere Windleistungsdichte von mindestens 215 W/m² in 160 m Höhe über Grund angesetzt.

Winddargebotsschwelle auf 190 W/m² senken
Die bisherige Praxis beim Betrieb von Windkraftanlagen zeigt, dass diese auch in Gebie-ten mit geringerer Windleistungsdichte wirtschaftlich betrieben werden können. Dies zeigt insbesondere die bestehende Windkraftanlage in Ingersheim (Landkreis Ludwigsburg), die seit 10 Jahren zufriedenstellende Erträge ermöglicht. Diese Anlage wird in den vorliegenden Unterlagen zwar als Vorranggebiet (LB-06) ausgewiesen, allerdings nur, damit dort künftig ein einfacheres Repowering möglich wird. Bei dem dort im Bewertungsbogen (Einzelsteckbriefe) zum Umweltbericht angegebenen Winddargebot von 145 – 190 W/m² käme z.B. keine 2. Anlage mehr in Betracht bzw. müsste über ein aufwändigeres (immissionsschutzrechtliches) Einzelverfahren laufen. Dabei sollte auch gesehen werden, dass Windkraftanlagen nach wie vor höher gebaut werden und damit in der Regel von einem besseren Winddargebot profitieren. Die geforderte Windleistungsdichte von mindestens 215 W/m² in 160 m Höhe über Grund sollte deshalb zwingend nach unten korrigiert werden auf 190 W/m².

Vorranggebiete im Wald

nicht in ökologisch besonders wertvollen Waldgebieten
Innerhalb der Vorrangflächen sollten Windenergieanlagen nicht in ökologisch besonders wertvollen Waldgebieten aufgestellt werden.
D.h. nicht in

  • großen zusammenhängenden, unzerschnittenen Waldgebieten
  • Waldgebieten mit Habitatbaumgruppen
  • Waldrefugien nach dem Alt- und Totholzkonzept
  • wirtschaftlich nicht genutztem Wald
  • alten, naturnahen Wäldern mit zahlreichen Baumindividuen über 140 Jahre
  • Waldflächen außerhalb des regelmäßigen Betriebs bzw. Extensivflächen (dies sind häufig ökologisch besonders hochwertige Waldflächen an Steilhängen oder auf Sonderstandorten)
  • im Umfeld von Waldflächen mit besonderem Schutzstatus (wie Bann- und Schonwäldern und Naturschutzgebieten). Großzügige Pufferzonen müssen eine Beeinträchtigung dieser Flächen verhindern
  • Waldflächen, die eine besondere Bedeutung als Lebensraum für Fledermäuse haben1. Zu berücksichtigen sind hier neben den Habitatbäumen auch die Flugrouten und Futterplätze in der Umgebung

minderwertige Waldmonokulturen geeignet
In ökologisch minderwertigen Waldmonokulturen („Fichtenäckern“/„Fichtenstangenwald“) sehen wir dagegen keine (ökologischen) Hindernisse.

keine Wiederaufforstungen zulasten von Naturflächen außerhalb des Waldes
Bei den zu erwartenden Rodungen für die Standorte einer Windenergieanlage darf das Wiederaufforstungsgebot des Landes- bzw. Bundeswaldgesetzes keine Anwendung finden, d.h. Wiederaufforstungen die nicht im Bereich der Anlage selbst stattfinden können, dürfen nicht zulasten von Naturflächen außerhalb des Waldes durchgeführt werden. Andernfalls würden bisherige Offenlandbiotope wie Grünland, Streuobstwiesen und Äcker, deren Flächen bisher schon stetig abnehmen, in großem Umfang weiter verringert. Gerade die in solchen Biotopen vorkommenden Arten sind aber stärker bedroht als die Mehrzahl der im Wald vorkommenden Arten.

Aufwertung bestehender Waldflächen besser
Geeignete und ökologisch-sinnvolle Ausgleichsmaßnahmen wären stattdessen das Aufwerten bestehender Waldflächen, z.B. durch die Ausweisung weiterer Waldrefugien bzw. durch Herausnahme aus der Bewirtschaftung; oder die Umsetzung von Biotopverbundmaßnahmen.

Biotopverbund

Biotopverbundplanung und Generalwildwegeplan berücksichtigt?
Unklar ist, wie die Flächen der soeben verabschiedeten Biotopverbundplanung, z.B. der Stadt Leonberg, berücksichtigt werden. Es darf nicht sein, dass diese neu erarbeiteten Maßnahmen, deren Planung mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde, durch eine Windkraftanlage entwertet werden.
Beim Generalwildwegeplan, dessen Ziel eine lückenlose und zerschneidungsfreie Verbindung der Lebensräume ist, darf keine Unterbrechung durch eine Windkraftanlage erfolgen.

Schutzgebiete

Schutz von Natura-2000-Gebieten mit Umfeld
Flächen im Umfeld der Natura-2000-Schutzgebiete dürfen nicht als Vorranggebiete ausgewiesen werden, bevor die Verträglichkeitsprüfungen durchgeführt wurden (Vorsorgeprinzip).

Schutz von Streuobstbeständen
Vor dem Hintergrund der Einigung von Landwirtschafts- und Naturschutzverbänden sowie innerhalb der Landesregierung wurde im Juli 2020 im Landtag das Biodiversitätsstärkungsgesetz verabschiedet.
Ein Konsenspunkt war und ist der Schutz von Streuobstbeständen ab einer Mindestgröße von 1.500 Quadratmetern über den neuen §33a LNatSchG. Wir gehen pauschal davon aus, dass dieser Schutzstatus bei Windkraftplanungen berücksichtigt und stark gewichtet wird und keine geschützten Streuobstbestände für Windkraftanlagen gerodet werden.

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