LNV-Stellungnahme an das Umweltministerium
Diese LNV-Stellungnahme erfolgt zugleich auch im Namen der folgenden LNV-Mitglieds-verbände, die nach §3 UmwRG in Baden-Württemberg anerkannte Naturschutzvereinigungen sind: AG Die NaturFreunde, AG Fledermausschutz, Deutscher Alpenverein (DAV), Landesfischereiverband, Landesjagdverband, Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Schwäbischer Albverein und Schwarzwaldverein.
Der NABU-Landesverband Baden-Württemberg trägt die Stellungnahme ebenfalls mit.
Mit dem Klimaschutzgesetz hat sich das Land bereits 2013 zu einer Minderung der Treibhausgasemissionen von 90 % bis 2050 gegenüber 1990 verpflichtet. Wissenschaftlich basierte Zielszenarien sind ein geeignetes Werkzeug, um mögliche und notwendige Transformationspfade zur Erreichung dieses Langfristziels aufzuzeigen. Zwischenzielvorgaben auf dem Weg nach 2050 sind wichtig, sowohl um Orientierung bei strategischen Entscheidungen zu bieten, als auch um der tatsächlichen Entwicklung einem Monitoring unterziehen und ggf. nachsteuern zu können.
Der LNV begrüßt daher, dass sich die Landesregierung vorgenommen hat, die Klimaschutzbestrebungen durch Zielsetzungen für das Jahr 2030 zu konkretisieren. Die vorliegenden Ergebnisse des Forschungsvorhabens halten wir dabei grundsätzlich für eine geeignete Grundlage für die Erarbeitung der Klimaschutzziele, da sich die Studie durch eine hohe inhaltliche Qualität und Sorgfalt auszeichnet. Der LNV will sich aktiv an dem Prozess der Energie- und Klimazielbestrebungen im Land beteiligen und geht daher im Folgenden auf die definierten Leitfragen ein.
1. Inwieweit halten Sie ein Treibhausgasminderungsziel für das Land Baden-Württemberg von 42 Prozent bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 im Kontext der oben genannten Zielsetzungen für einen ausreichenden Beitrag?
Das Pariser Klimaschutzabkommen erfordert von allen Staaten und Regionen erhebliche Anstrengungen bei der Treibhausgasemissionsminderung. Im Lichte des in Paris formulierten Ziels, die globale Erwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, halten wir ein Treibhausgasminderungsziel von 42 Prozent bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 für das Land Baden-Württemberg für einen wenig ambitionierten Mindestbeitrag, der kaum ausreichen wird, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Schließlich sind die verbleibenden CO2eq-Budgets zur Erreichung der Pariser Ziele sehr knapp bemessen. Da zunächst die „einfacheren“ Maßnahmen ergriffen wurden, wäre es erforderlich, am Anfang schneller voranzukommen, und für die wirklich schwierigen Dinge die letzten beiden Dekaden zu reservieren.
Außerdem gibt der LNV zu bedenken: die Entwicklung des Treibhausgasemissionsausstoßes im Land wie im Bund lässt eine deutliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit erkennen. Die selbstgesetzten Klimaschutzziele für 2020 werden voraussichtlich verfehlt. Die Festlegung ambitionierterer Ziele in späteren Szenarienjahren darf über diese Diskrepanz nicht hinwegtäuschen. Stattdessen bedarf es effektiver Maßnahmen und Rahmenbedingungen auf Bundes- wie auf Landesebene, um die Dynamik beim Ausbau der erneuerbaren Energien und bei der Energieeffizienz in allen Sektoren deutlich zu steigern. Diese sollten möglichst zeitnah implementiert werden. Denn letztlich ist für einen erfolgreichen Klimaschutz nicht eine Punktlandung beim Emissionsausstoß im Zieljahr entscheidend, sondern eine Minimierung der bis dahin kumulierten Emissionen.
2. Welche zentralen Minderungspfade/ -möglichkeiten und Handlungspotenziale sehen Sie in Ihrem Sektor/ in Ihrer Branche?
Der LNV ist bereit, die Landesregierung beim Umbau der Energieversorgung, des Verkehrssektors, der Landwirtschaft und der Landnutzung zu unterstützen, Vorschläge einzubringen und Lösungen zu erarbeiten.
3. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in Ihrem Sektor/ in Ihrer Branche?
Der LNV erkennt den verstärkten Ausbau von Wind- und Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung als wesentlichen Pfeiler für Klimaschutz grundsätzlich an. Dies darf jedoch nicht zu Lasten des Naturschutzes geschehen.
Das Forschungsvorhaben zu den Energie- und Klimaschutzzielen 2030 sieht einen Ausbau der Photovoltaik von durchschnittlich 400 MW ab 2017 vor. Um landwirtschaftlich und naturschutzfachlich bedeutende Flächen zu schonen, sollte der Ausbau überwiegend auf bereits versiegelten Flächen erfolgen. Potentialabschätzungen zu Folge reichen alleine die Dachflächen in Baden-Württemberg aus, um die in der Studie genannte Ausbaumarke der Photovoltaik von 11,0 GW bis Ende 2030 zu erzielen . Darüber hinaus sind ausreichend Fassaden sowie großflächige Parkplätze vorhanden, die mit Photovoltaikanlagen überdacht werden könnten.
Im Bereich der Windstromerzeugung sieht das Forschungsvorhaben einen Zuwachs von 1,0 TWh im Jahr 2016 auf 13,0 TWh im Jahr 2030 vor. Hier gibt der LNV zu bedenken, dass diese Vervielfachung der Windstromerzeugung nur mit besonderer Rücksicht auf gefährdete Vogel- und Fledermausarten erfolgen darf. Geschützte und besonders empfindliche Landschaften müssen geschont werden.
Die landwirtschaftliche Nutzung muss daran ausgerichtet werden, durch geeignete Verfahren den Humusgehalt in den Böden kontinuierlich aufzubauen, statt diesen weiter abzubauen. Damit wird auch die Wasser-, Nährstoff und Pufferkapazität der Böden erhöht wodurch extreme Witterungsereignisse besser verkraftet werden können. Lachgas- und Methanemissionen sind durch strengere Auflagen bei der Düngemittel- und Gülleausbringung weiter zu reduzieren. Aspekte und Möglichkeiten des Einzelbetriebes zur Reduzierung der THG-Emissionen in der Landwirtschaft müssen in die landwirtschaftliche Ausbildung und Beratung mit einfließen.
Landwirtschaft auf nassen, feuchten und moorigen Standorten braucht ein besonderes Augenmerk. Hier gilt es geeignete Verfahren zu befördern, die eine Mineralisierung des organisch gebundenen Bodenkohlenstoffs minimieren. Das Umbruchverbot für Grünland muss in diesem Zusammenhang auch aus Gründen des Klimaschutzes beibehalten werden.
Wichtig ist aus unserer Sicht, in möglichst weitem Umfang die ackerbauliche Nutzung von Moorstandorten aufzugeben, wie in der Moorschutzstrategie des Landes vorgesehen.
In der Forstwirtschaft sollten vorratsreiche, stabile Mischwälder aufgebaut werden. Diese speichern in der oberirdischen Biomasse mehr Kohlenstoff als labile Forste und besitzen auch eine höhere Resilienz gegenüber extremen Witterungsereignissen.
Für die Nutzung von Holz sollte eine Landesstrategie entwickelt werden, die der stofflichen Nutzung von Holz den Vorrang gegenüber der energetischen Verwertung gibt und das Prinzip der Kaskadennutzung fördert. Holz und Forstwirtschaft leistet den besten Beitrag zum Klimaschutz durch den Einsatz von langlebigen, chemisch unbehandelten Produkten, d.h. vornehmlich im konstruktiven Holzbau. Ineffiziente Komfortöfen sollten auch aus Gründen der Luftreinhaltung verboten werden. Auf Bundesebene sollte sich die Landesregierung dafür einsetzen, dass Holzheizungen nur noch in Kombination mit solarer Wärmeunterstützung und entsprechenden Pufferspeicherkapazitäten KfW-förderfähig sind.
4. Welche zentralen Forderungen (z. B. im Hinblick auf den rechtlichen Rahmen, Maßnahmen, Förderbedarf) ergeben sich aus Ihrer Sicht an den Bund?
Der Transformationspfad in Baden-Württemberg ist stark von der Entwicklung der Rahmenbedingungen und Forderungen auf Bundesebene abhängig. Wie im Forschungsvorhaben richtig beschrieben ist, wird die Erreichung der Klimaschutzziele auf Landesebene stark davon bestimmt, ob auf Bundesebene Maßnahmen vorgelegt werden, die zu den Zielen des Klimaschutzplans kompatibel sind.
Ein wesentlicher Pfeiler einer ambitionierten und konsequenten Klimapolitik ist dabei die gesetzliche Verankerung des Klimaschutzes. Ein mögliches Klimaschutzgesetz sollte einen kohärenten und verlässlichen Rahmen bieten, der die notwendigen Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien absichert.
Darüber hinaus sind aus Sicht des LNV folgende Elemente zentral für eine Dekarbonisierungsstrategie auf Bundesebene:
• CO2 braucht einen Preis
Solange die Preise für fossile Brennstoffe nicht die durch sie verursachten externen Effekte reflektieren, kann die Energiewende nicht nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erreicht werden. Eine CO2-Abgabe verteuert die Nutzung fossiler Energieträger und schafft damit Anreize, Emissionen zu reduzieren bzw. in klimaschonende Technologien zu investieren – in allen Sektoren.
• Ein verlässlicher und zeitnaher Ausstieg aus der Kohleverstromung
Die Pariser Beschlüsse zum Klimaschutz sind nicht mit einer langfristigen Kohleverstromung vereinbar. Der Bund sollte rasch einen Zeitplan für einen konsequenten und sozialverträglichen Kohleausstieg vorlegen. Zur Wahrung der Versorgungssicherheit sollten Investitionen in Gaskraftwerke (möglichst KWK) angereizt werden.
• Neue Instrumente für Energieeffizienz
Die Ziele der Bundesregierung zu Energieeffizienz drohen alle verfehlt zu werden. Trotz zahlreicher, bestehender Instrumente zur Steigerung der Energieeffizienz können kaum Fortschritte verzeichnet werden. Der Bund sollte sich selbstkritisch mit dem von ihm implementierten Instrumentarium aus schwer durchschaubaren Anreizen, Information etc. auseinandersetzen und alternative Förderansätze prüfen, die sowohl die Emissionsminderungswirkung der Maßnahme als auch mögliche Rebound-Effekte berücksichtigen.
• Die Ausweitung der Ausbaukorridore für erneuerbare Energien
Erneuerbarer Strom wird zur wesentlichen Primärenergie eines dekarbonisierten Energiesystems werden. Dies gilt vor allem für die Verbrauchssektoren Wärme und Verkehr, da die Reduktion des Verbrauchs sowie der direkte Einsatz erneuerbarer Energien in diesen Sektoren für eine vollständige Dekarbonisierung nach derzeitigem Wissensstand potentialseitig nicht ausreichen werden. Deshalb müssen die im EEG festgeschriebenen Ausbaukorridore für Erneuerbare deutlich angehoben werden.
• Stärkere Adressierung des Gebäudebestands
Ein deutlicher Anteil der Treibhausgasemissionen entfällt auf den Wärmeverbrauch von Gebäuden. Die Trendentwicklung bei den erneuerbaren Energien und bei der Gebäudeenergieeffienz ist unzureichend für einen langfristig klimaneutralen Gebäudebestand. Hier bedarf es weiterer Anreize und Pflichten, um die Sanierungsraten in Bestandsgebäuden zu erhöhen. Das EWärmeG Baden-Württemberg kann dem Bund als Vorbild dienen.
• Verkehrswende einleiten
Die Effizienzziele im Verkehrssektor werden wahrscheinlich deutlich verfehlt. Auch die Zielmarke von 1 Mio. Elektrofahrzeuge erscheint in weiter Ferne. Der Bund sollte aber nicht alleine auf Elektromobile und technischen Fortschritt bei den Fahrzeugen setzen, um den Verkehrssektor zu dekarbonisieren. Notwendig ist vor allem eine Strategie zur Vermeidung von Verkehr sowie zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs. Im Güterverkehrsbereich sollte die Verlagerung auf die Schiene eingeleitet werden.
In der Vergangenheit hat auf europäischer Ebene gerade Deutschland weitergehende Fortschritte im Verkehrssektor blockiert (Verbrauchswerte, Tempolimit). Das Land sollte sich über den Bundesrat dafür einsetzen, diese Blockadehaltung aufzugeben und auch nationale Spielräume auszunutzen (z.B. allgemeines Tempolimit).
5. Welche weiteren Handlungspotenziale und -bedarfe sehen Sie auf Landesebene?
Das Forschungsvorhaben definiert vor dem Hintergrund der Handlungsspielräume des Landes Maßnahmen insbesondere in den Bereichen Wärme und Verkehr. Diese halten wir für sinnvoll und richtig. Folgende Punkte möchten wir hierzu ergänzen:
• Kommunale Wärmeplanung
Das Forschungsvorhaben schlägt eine verpflichtende kommunale Wärmeplanung vor.
Bei der Erstellung dieser Wärmepläne werden die Kommunen mit Aufgaben und Problemen konfrontiert, die für alle Kommunen ähnlich sind – trotz der unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten in den einzelnen Kommunen. An dieser Stelle sollte das Land den Kommunen Planungshilfen zur Verfügung stellen. Diese können zum einen eine Datenbasis für die Wärmeplanung sein, z.B. GIS-basierte Daten zu Wärmebedarfen und Potentialen oder Kostendaten unterschiedlicher Technologien. Zum anderen sollte das Land Leitfäden bereitstellen, die den Kommunen die wesentlichen Verfahrensschritte bei der kommunalen Wärmeplanung erläutern und Methoden zur Bestimmung optimierter Wärmeversorgungskonzepte aufzeigen.
• ÖPNV und Verkehrsvermeidung
Das Land sollte dringend Maßnahmen zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs und von Carsharing insbesondere in Ballungszentren einleiten. Auch die Nutzung des Fahrrades sollte attraktiver gemacht werden, z.B. durch die Einführung neuer Fahrradstraßen sowie die Errichtung von Fahrradstationen an Bahnhöfen. Neben den positiven Effekten auf das Klima kann durch diese Maßnahmen gleichzeitig die Luftqualität verbessert und die Belastungen durch Lärm gemindert werden. Darüber hinaus sollte ein Fahrverbot von konventionell betrieben Fahrzeugen in baden-württembergischen Innenstädten geprüft werden. Außerdem sollte der Bau von Gewerbeeinheiten, insbesondere Einkaufsmöglichkeiten, „auf der grünen Wiese“ außerhalb von Stadtzentren unterbunden werden, um Verkehrswege zu verkürzen und nebenbei die Zersiedelung zu stoppen.
• Kommunikationsoffensive für PV-Anlagen auf Parkdecks, an Fassaden und auf Dächern
Günstige Zinsen und nach wie vor lohnenswerte Vergütungen bei Eigennutzung von PV-Strom machen PV-Anlagen in privater oder gewerblicher Hand nach wie vor attraktiv. Das Land sollte durch eine Kommunikationsoffensive (z.B. Wettbewerbe etc.) über die Vorteile des PV-Stroms und die Wirtschaftlichkeit informieren und Projekte unterstützen. Insbesondere mit Blick auf die Elektromobilität könnte eine Offensive für PV-Anlagen auf Parkplätzen und Parkdecks in Kombination mit Elektro-Tankstellen gestartet werden.
Generell sollte die Landesregierung sicherstellen, dass alle durch sie gesteuerten Aktivitäten kompatibel sind mit den gesetzten Zielen auf Landes- wie auf Bundesebene.
LNV-Stellungnahme zu Energie- und Klimaschutzziele 2030