LNV-Info 02/2022
Vorschläge und Forderungen für einen naturverträglichen, schnellen Windenergieausbau
Präsentiert auf den Naturschutztagen 2022
Im April 2021 stellte das Bundesverfassungsgericht in einem richtungsweisenden Urteil klar, dass die Anstrengungen der Bundesregierung im Klimaschutz deutlich ambitionierter und konkreter werden müssen. Die Umsetzung der Energiewende wird somit immer dringlicher. Nach jahrelangem Zögern und Zaudern entsteht mit dem Regierungswechsel in Berlin fast schon hektische Betriebsamkeit. Auch in Baden-Württemberg nimmt der Handlungsdruck zu. Mit dem Koalitionsvertrag (KoaV) von Grünen und CDU in Baden-Württemberg und dem neuen Klimaschutzgesetz (KSG) sind wichtige Landmarken gesetzt:
- Bis 2030 muss der Treibhausgasausstoß des Landes um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Bis 2040 muss die Netto-Treibhausgasneutralität („Klimaneutralität“) erreicht werden (KSG, § 4).
- Auf zwei Prozent der Landesfläche sollen die räumlichen Voraussetzungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien in den Regionalplänen geschaffen werden (KSG, § 4b).
- In den kommenden Jahren sollen rund 1.000 neue Windräder gebaut werden (KoaV, S. 24).
- Eine ressortübergreifende Task Force des Staatsministeriums erarbeitet derzeit Vorschläge zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (KoaV, S. 28).
Die Landesverbände von NABU und BUND sowie der LNV sehen die Dringlichkeit der Energiewende und anderer Maßnahmen zum Klimaschutz schon lange. Sie unterstützen die Ausbauziele der Landesregierung für erneuerbare Energien. Dieser Ausbau muss jedoch mit stärkeren Maßnahmen zu Energieeinsparung und -effizienz, einer absoluten Reduktion des Ressourcen-verbrauchs sowie der Förderung suffizienterer Lebensstile und Wirtschaftsweisen einhergehen.
Beim anstehenden Ausbau der Windenergie dürfen Fragen des Natur- und Artenschutzes nicht unter den Tisch fallen. Im Gegenteil: Klimaschutz und der Erhalt der biologischen Vielfalt können langfristig nur zusammen erfolgreich sein. Unstrittig ist, dass die Verfahren zu beschleunigen sind. Die Planungsbeschleunigung muss aber zielgenau erfolgen. Die tatsächlichen Ursachen für langwierige Verfahren sind genau zu identifizieren. Vermeintlich einfache Scheinlösungen lehnen BUND, NABU und LNV ab. Wer notwendige Beschleunigungen als Vorwand benutzt, um „unliebsame“ Errungenschaften des Artenschutzrechts oder der Beteiligungs- und Verbandsklagerechte pauschal zu kippen, wird mit dem entschiedenen Widerstand der Umweltverbände rechnen müssen. Die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ist kein Selbstzweck, sondern muss zu echtem Klimaschutz führen.
Die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele ist für uns alle eine herausfordernde Aufgabe. Es muss uns daher gelingen, die Bevölkerung für diesen Transformationsprozess zu begeistern.
Mit dem vorliegenden Papier formulieren BUND, NABU und LNV die aus ihrer Sicht wichtigsten Maßnahmen für ein erfolgreiches Miteinander von Windenergie und Artenschutz sowie für die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren:
Vorschläge zur besseren Vereinbarung von Windenergie und Artenschutz:
- Systemwechsel bei der Planung von Windenergieanlagen – Aus Sicht von NABU, BUND und LNV braucht es einen Systemwechsel: Die Ausbauziele der Windenergie sollten auf Landes- und regionaler Ebene koordiniert und leistungsbezogen umgesetzt werden. Windenergieanlagen sollten vorrangig dort errichtet werden, wo möglichst viel Wind weht und im landesweiten Vergleich die geringsten Konflikte mit dem Natur- und Artenschutz zu erwarten sind. Am Ende müssen auf etwa zwei Prozent der Landesfläche tatsächlich Projekte umgesetzt werden.
- Wirksame Artenhilfsprogramme umsetzen – Das oben skizzierte Modell funktioniert sowohl rechtlich als auch naturschutzfachlich nur, wenn sichergestellt wird, dass sich der Erhaltungszustand der Populationen von windenergiesensiblen Arten auf landesweiter Ebene nicht verschlechtert. Im Gegenteil, über landesweit umzusetzende Artenhilfsprogramme muss sichergestellt werden, dass sich der Erhaltungszustand der betroffenen Fledermaus- und Vogelarten verbessert. Diese Artenhilfsprogramme müssen gesetzlich verankert und verbindlich umgesetzt werden. Weil der günstige Erhaltungszustand einer Art in der Regel auf Ebene eines Bundeslandes betrachtet wird, müssen die Programme zentral koordiniert und regional umgesetzt werden. Eine enge Verzahnung der Schutzmaßnahmen mit der land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung ist dabei erforderlich. Zum besseren Schutz von Fledermäusen können z. B. Habitatstrukturen im Wald gefördert, Sommer- und Winterquartiere gesichert und insektenfreundliche Blühflächen in der Landwirtschaft angelegt werden. Windenergiesensible Vogelarten wie Rotmilan, Wespenbussard oder Schwarzstorch können gefördert werden, indem Horstschutzzonen im Wald errichtet sowie Acker- und Grünland vogelfreundlich bewirtschaftet werden. Der Auerhuhnaktionsplan muss umgehend umgesetzt werden.
- Schutzräume für die Artenvielfalt definieren – Bei der Auswahl von Windeignungsflächen sind von vornherein solche Gebiete auszuschließen, die landesweit betrachtet eine besondere Bedeutung für den Natur- und Artenschutz haben. Dies können Schutzgebiete sein. Dazu zählen zum Beispiel Naturschutzgebiete, Fauna-Flora-Habitat (FFH)- und Vogelschutzgebiete, die dem Schutz von windenergiesensiblen Vogel- oder Fledermausarten dienen, alte naturnahe Waldbestände und bedeutsame Brut- und Rastgebiete oder auch Gebiete, in denen die Populationen windenergiesensibler Arten einen landesweiten Verbreitungsschwerpunkt haben. In diesen Schutzräumen für die Artenvielfalt muss die Planung von Windenergieanlagen ausgeschlossen werden.
- Erleichterte Genehmigungen für die Windenergie in Vorranggebieten – Innerhalb der Suchkulisse für die Windenergie sollten Windenergieprojekte in einem beschleunigten Genehmigungsverfahren umgesetzt werden können. Behörden und Projektierer sollten dabei – sofern erforderlich – die bestehenden Möglichkeiten zur Anwendung der artenschutzrechtlichen Ausnahme prüfen. Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen, wie Abschaltautomatiken, Detektionssysteme oder Umfeldgestaltung, sowie Ausgleichsmaßnahmen für den Natur- und Artenschutz bleiben dabei weiterhin erforderlich.
- Systematisches Monitoring als Erfolgskontrolle – Um den Erfolg der Artenhilfsprogramme zu kontrollieren, ist die Einführung eines landesweiten, systematischen Monitorings windenergiesensibler Vogel- und Fledermausarten notwendig. Ein solches erfolgt beispielsweise bereits bei Rotmilan, Schwarzmilan und Wespenbussard.
- Finanzierung sichern – Artenhilfsprogramme können nur erfolgreich sein, wenn sie mit wirkungsvollen Maßnahmen hinterlegt sind. Für die landesweite Umsetzung sind entsprechende Programme aufzulegen und bestehende – wie z. B. das Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT) und die Landschaftspflegerichtlinie (LPR) – zu ergänzen. In jedem Fall brauchen sie ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen. Für die Artenhilfsprogramme für Vögel und Fledermäuse schätzen die Umweltverbände die Kosten auf 15 bis 20 Millionen Euro pro Jahr. Ein Teil der Finanzierung sollte durch die ohnehin anfallenden Abgaben und Ersatzgelder der Windenergieprojekte gedeckt werden.
Vorschläge zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren:
- Sonstige Hemmnisse beseitigen: Die Regionalverbände sind aufgefordert, die notwendigen Planungen im positiven Sinne für die Windenergie zu nutzen und die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgeschlagene Beseitigung von Hemmnissen, wie Abstände zu Drehfunk-feuern, Wetterradaren oder die Konflikte mit dem Flugverkehr, dabei bereits einzuplanen.
- Fristen setzen und einhalten – auch durch die Verwaltung: Die gesetzliche Frist für die Abgabe einer behördlichen Stellungnahme im Genehmigungsverfahren beträgt einen Monat. Alle Beteiligten, von den Trägern öffentlicher Belange über die Kommunen bis zu den Verbänden, müssen in die Lage versetzt werden, innerhalb dieser Frist Stellung zu nehmen. Die Umwelt- und Naturschutzverbände wollen sich dieser Aufgabe stellen.
- Zusätzliches Personal bei den Planungs- und Genehmigungsbehörden: Der Mangel an qualifiziertem Personal ist immer wieder ein Flaschenhals für die schnelle und effektive Bearbeitung von Anträgen. Das betrifft die Regionalverbände, das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen, aber auch die Genehmigungsbehörden in den Landratsämtern. Die Planungs- und Genehmigungszeiten sollten daher durch Personalaufstockungen in diesen Behörden und durch konzentriertes Projektmanagement verkürzt werden.
- Digitalisierung der Verwaltungsabläufe: Noch immer müssen Genehmigungsanträge häufig in Papierform eingereicht werden. Durch Digitalisierung können Abläufe in der Regel deutlich verschlankt und beschleunigt werden. Die Landesregierung hat dazu im Rahmen der Task Force schon ein umfangreiches Maßnahmenpaket vorgelegt, das es schnell umzusetzen gilt.
- Konkrete, rechtsverbindliche Prüfungsmaßstäbe: Die Umwelt- und Naturschutzverbände haben bereits 2019 zusammen mit den Landesverbänden des Bundesverbands Windenergie und des Berufsverbands Landschaftsökologie Kriterien für gute Artenschutzgutachten Wenn diese berücksichtigt werden, können die Artenschutzgutachten im Genehmigungsverfahren schnell und zuverlässig einbezogen werden.
- Akzeptanz durch frühe Beteiligung: Nicht ohne Grund hat Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren die Bürgerbeteiligung verbessert: Das Land wollte aus dem Desaster um die Bahnhofsplanung für Stuttgart 21 lernen. Auf europäischer Ebene wurde 1998 mit der Aarhus-Konvention der Zugang zu Umweltinformationen und zu den Gerichten sowie die Öffentlichkeitsbeteiligung gestärkt. Es gibt keine Untersuchung, die eine Verfahrensverlängerung durch diese Instrumente belegt. Im Gegenteil: Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat zusammen mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ein Empfehlungspapier für den Ausbau der Photovoltaik und Windenergie Die Wissenschaftler/-innen fordern u. a. mehr und frühere Bürgerbeteiligung sowie finanzielle Teilhabe von Kommunen. Eine frühzeitige, ergebnisoffene und verpflichtende Öffentlichkeitsbeteiligung kann dazu beitragen, Konflikte zu befrieden. Sie ist das A und O einer guten Planung. Sie verlangt eine offene neue Kommunikations- und Beteiligungskultur. Bürgerinnen und Bürger müssen als gleichberechtigte Partner im Planungsprozess mitwirken und wertgeschätzt werden. Zudem müssen die Ergebnisse der frühzeitigen Beteiligung in den nachfolgenden Verfahrensschritten Beachtung finden.
Radolfzell, 07.01.2022
NABU und BUND Baden-Württemberg
Naturschutztage 2022
Stuttgart 18.02.2022
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P.S. Für Hinweise und Verbesserungsvorschläge ist die LNV-Geschäftsstelle stets dankbar.
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