Nachhaltige Nutzung von forstgenetischen Ressourcen

LNV-Stellungnahme an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Nationaler Bericht über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung
von forstgenetischen Ressourcen in der Bundesrepublik Deutschland
(Entwurfsfassung 12. 08. 2011)
Verfasser: Wolf Hockenjos, Forstreferent des DNR-Mitgliedsverbandes
Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV)
Der Bericht beschreibt vor dem Hintergrund des Klimawandels die Situation der forstgenetischen Ressourcen und deren nachhaltige Nutzungsmöglichkeiten. In einer (vergleichsweise umfangreichen) Einführung in das Land und den Forstsektor werden der Istzustand des deutschen Waldes und dessen nutzungsgeschichtliche Entstehung beschrieben. Bereits hier wird (auf S. 9) darauf hingewiesen, dass in jüngster Zeit ein wachsendes Interesse an der ge-genwärtig 2 % der Waldfläche einnehmenden Douglasie feststellbar sei; diese sei bei fort-schreitender Klimaänderung auf bestimmten Standorten geeignet, Fichte und Kiefer zu ersetzen.
Über mögliche standortsheimische Nadelholz-Alternativen, mit welchen die klimalabile Fichte zumindest teilweise ersetzt werden könnte, erfährt man hier nichts. Dafür wird der jüngste Flächenverlust der Fichte von 200 000 ha (- 7 % in den alten Bundesländern nach Auskunft der BWI²) auf S. 11 der gesteigerten Nachfrage nach Nadelholz gegenübergestellt. Doch nicht alle Nadelbaumarten, so erfährt man, haben Verluste zu verzeichnen: „Demgegenüber ver-größerten Weiß-Tanne (Abies alba) und Douglasie (Pseudotsuga menziesii) ihre Flächenantei-le um knapp 50.000 ha“, heißt es hier. Verschwiegen wird dabei, dass dieser Flächenzugang im Wesentlichen dem gesteigerten Douglasieanbau zu verdanken sein dürfte, während der Weißtannenanteil in Baden-Württemberg (aus dem drei Viertel des deutschen Tannenholz-aufkommens stammen) nach BWI-Befund bei 7,6 % stagniert und lediglich in Bayern um ein Promille von 2,0 auf 2,1 % zugenommen hat. Neuerdings wird (lt. Regionaler PEFC-Waldbericht Baden-Württemberg 2010) im öffentlichen Wald Baden-Württembergs von 2005 bis 2009 sogar ein Rückgang der Weiß-Tannenfläche um rund 1000 ha angenommen. Die Tendenz im Privatwald dürfte nicht positiver verlaufen sein. Abschließend wird in der vorliegenden Entwurfsfassung zwar noch einmal betont, dass zur Anpassung des Waldes an das künftige Klima die Ausschöpfung des gesamten genetischen Potenzials heimischer Popu-lationen erforderlich sei. Doch nicht minder eindringlich wird darauf hingewiesen, dass „die gezielte Erweiterung des genetischen Spektrums mit klimaangepassten eingeführten Baumarten und Herkünften“ voranzubringen sei. Was beim Leser den Eindruck verstärkt, dass es dem Bericht tendenziell vorrangig um die Genressourcen der sog. Ersatzbaumarten und deren Be-teiligung am Wald der Zukunft geht.
Unter Pkt. 1 (Aktueller Zustand der Vielfalt der forstgenetischen Ressourcen) wird darauf hingewiesen, dass BWI² im deutschen Wald 70 Baumarten vorgefunden hat. Doch werde er aus wirtschaftlichen Gründen von Fichten, Kiefern, Buchen und Eichen geprägt. Daneben hätten auch „einige seltenere Baumarten regional besondere Bedeutung“, so die Weiß-Tanne, die zu den „Charakterbaumarten in Süddeutschland“ gehöre. Was man nicht erfährt, ist der Umstand, dass die Weißtanne in Deutschland derzeit nur noch auf einem Zehntel ihrer natür-lichen Verbreitungsfläche vorkommt, die ursprünglich einmal von montanen Standorten bis hinab in das milde Weinbauklima reichte. Unerwähnt bleibt deshalb auch, dass sie bei der ihr eigenen Leistungsfähigkeit, ihrer Klimahärte, Sturmfestigkeit und ihrer ökologischen Vorzüge auf vielen Standorten durchaus in der Lage wäre, die klimalabile Fichte zu ersetzen. Auch, dass der Waldwirt mit ihr schon heute unterm Strich besser verdient, als mit der durch Bruch, Dürre, Insekten und Rotfäule häufig wertgeminderten Fichte. Aus gutem Grund wird die stär-kere Beteiligung der Weiß-Tanne im öffentlichen Wald Süddeutschlands, des Thüringer Wal-des und des Erzgebirges in nahezu allen Planungswerken seit dem frühen 19. Jahrhundert energisch gefordert – zumeist leider vergebens! Was im Berichtsentwurf fehlt, ist ein Hinweis auf die Ursachen des bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts absturzartigen Tannenschwunds (wie auch des Schwunds heute noch seltenerer Baumarten wie Eibe und Wildobst): auf einen wenig naturnahen Waldbau und auf meistenorts überhöhte Schalenwildbestände.
Pkt. 1.1 (Inter- und intraspezifische Vielfalt der Baumarten)
Die Bewahrung der Anpassungsfähigkeit der Wälder wird hier als Grundlage einer zukunfts-orientierten Waldbewirtschaftung beschrieben; wo es doch in Deutschland „eine Fülle groß- und kleinräumig wechselnder Standortsbedingungen und Waldgesellschaften“ gibt. In Abbil-dung 6 wird dargestellt, dass bei den natürlichen Waldgesellschaften zwei Drittel Buchenwäl-der sind. Leider fehlt der Hinweis, dass es sich dabei in den meisten deutschen Mittelgebirgen um Bergmischwälder mit wechselnder Nadelholzbeteiligung, also um Laub-Nadelmischwälder handelt. Zumeist jedenfalls um Wälder mit wechselnder Weiß-Tannenbeteiligung. Die weist in Deutschland gegenwärtig leider nur noch einen Flächenanteil von 1 % auf, wie Abb. 7 zeigt. Nach Abb. 8 hat sich von 1987 – 2002 bei der Veränderung der Baumartengruppen (Abb. 8) diejenige mit Douglasie um 0,5 %, diejenige mit Weiß-Tanne, wenn auch nur marginal, so doch um 0,1 % verbessert. Wobei offen bleiben muss, ob nicht die in Kürze vorliegenden Ergebnisse von BWI³ womöglich erneut einen rückläufigen Tannentrend nachweisen werden, nachdem nun auch die neuen Bundesländer mit in den Zeit-vergleich einbezogen werden können..

Die Erhöhung des Mischwaldanteils auf inzwischen 73 % wird als Erfolg waldbaulicher und forstpolitischer Entscheidungen gewertet, die Mitwirkung der jüngeren Orkanereignisse, die bekanntlich vorwiegend zu Lasten des „Brotbaums“ Fichte gingen, wird nicht angesprochen. Ebensowenig der Umstand, dass die statistische Mischwald-Zunahme durch den Umstand stark relativiert wird, dass nach der (sehr wohlwollenden) Definition der BWI (wie auch der Entwurfsfassung) bereits eine Beimischung von 10 % Nadel- oder Laubbaumarten ausreicht, um den Wald in die Kategorie „Mischwald“ einzustufen. Der Aussagewert über dessen öko-logische Stabilität, gar über dessen Beitrag zur Erhaltung der Genressourcen! Unerwähnt bleibt auch, dass strukturierte Mischbestände mit großflächiger und permanenter Naturver-jüngungsmöglichkeit unter dem Aspekt der Erhaltung der Genressourcen besonders vorteil-haft abschneiden dürften.
Auf S. 22 wird die zunehmende Nachfrage nach Douglasiensaat- und Pflanzgut für den Waldumbau im Zuge des Klimawandels thematisiert, erneut verbunden mit der Aussage, dass die Douglasie als wichtige Ersatzbaumart für die so anfällige Fichte gesehen werde. Vermisst wird hier (wie auch andernorts im Berichtsentwurf) ein Hinweis auf die Nationale Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt, die als Vision und Zielvorgabe bis zum Jahr 2020 davon ausgeht, dass Deutschlands Wälder „eine hohe natürliche Vielfalt und Dynamik hinsichtlich ihrer Struktur und Artenzusammensetzung“ aufweisen und dass „natürliche und naturnahe Waldgesellschaften …deutlich zugenommen“ haben. Die Vision eines verstärkten Ersatz-baumartenanbaus findet sich dort nicht, vielmehr wird standortsheimischen Alternativen der Vorzug gegeben. „Der Anteil nicht standortsheimischer Baumarten“, heißt es dort, „reduziert sich kontinuierlich.“
Pkt. 1.2.2 (Wichtige Bauarten für das Ökosystem Wald)
In der Auflistung „wichtiger“ Baumarten fehlt wiederum erstaunlicherweise die Weiß-Tanne, obwohl sie in der Fachwelt doch durchaus als klimaharte Baumart und potenzieller Fichtener-satz gehandelt wird. Verwiesen sei etwa auf die Freisinger Fachtagung vom März 2011 Die Tanne – Perspektiven für den Klimawandel oder auf den Beitrag von A. Reif und Mitautoren in Heft 6/2011 der Zeitschrift Natur und Landschaft unter der Überschrift Braucht der Wald in Zeiten der Klimaveränderung neue, nicht heimische Baumarten?, in welchem einmal mehr darauf hingewiesen wird, „dass viele einheimische Baumarten wahrscheinlich auch bei geän-derten Klimabedingungen auf einem weiten Spektrum ihrer jetzigen Standorte noch gut ge-deihen können. Insbesondere gilt dies für Buche und Tanne…“
Wie es scheint, hat vorliegende Berichtentwurf die Weiß-Tanne (mit ihrem kläglichen natio-nalen Anteil von 1 %) bereits weithin abgeschrieben und zur „seltenen“ Nebenbaumart abge-stuft. Die Verfasser hätten sich sonst ja doch sehr viel eingehender auch auf die Vorausset-zungen für eine Verbesserung der Situation der Tanne einlassen müssen, insbesondere auf den in den meisten Bundesländern sich verschärfenden Wald-Wild-Konflikt. Man hätte sich dabei berufen können auf das von BfN, DFWR und ANW in Auftrag gegebene, im Mai 2011 veröf-fentlichte Gutachten Der Wald-Wild-Konflikt – Analyse und Lösungsansätze vor dem Hinter-grund rechtlicher, ökologischer und ökonomischer Zusammenhänge und dessen Fazit: „Aus den gegenwärtig im weit überwiegenden Teil Deutschlands überhöhten Schalenwildbeständen ergeben sich sowohl für die Diversität von Waldökosystemen als auch für deren naturnahe wirtschaftliche Nutzung erhebliche ökologische und ökonomische Risiken. Diese Risiken werden von nahezu allen Akteuren, insbesondere den Waldbesitzern und einem Großteil der Jägerschaft unterschätzt.“ Unterschätzt werden diese Risiken offenbar auch von den Verfas-sern des Berichts; es fehlt schon hier der Hinweis auf die vielerorts dramatischen Auswirkun-gen überhöhter Schalenwildbestände auf die genetischen Ressourcen in den heimischen Waldgesellschaften.
Pkt. 1.2.6.1 (Zustand der genetischen Erosion forstgenetischer Ressourcen)
„Im Einzelfall“ könnte die genetische Vielfalt von genetischer Erosion bedroht sein, so wird hier eher verharmlosend eingeräumt: Nämlich bei den selteneren Baumarten, „wenn die natür-liche Verjüngung nur noch ausgehend von wenigen Altbäumen in Restvorkommen erfolgt“. Diese sei „z. B. in einigen Regionen für die Weiß-Tanne der Fall.“ Nicht nur in Thüringen und Sachsen ist dies der Fall, sondern auch in weiten Teilen ihres übrigen natürlichen Ver-breitungsgebiets. Vermisst wird die politische Forderung, dass dieser Erosionsprozess im Zei-chen des Klimawandels dringend gestoppt werden müsste. Auch fehlt der Hinweis, dass es ja durchaus möglich ist, die weitere Erosion zu stoppen – es bedarf hierzu bekanntermaßen le-diglich einer konsequenten Schalenwildregulierung und entsprechender Waldumbaumaßnah-men, auch und gerade der Vorbauprogramme mit verbissempfindlichen, schattenertragenden Baumarten wie Buche und Tanne, wo deren Samenbäume nicht mehr vorhanden sind.
Unter Pkt. 1.2.6.2 (Haupteinflussfaktoren auf den Zustand der forstgenetischen Ressourcen) wird die als Folge des Wald-Wild-Konflikts unbefriedigende Situation dezent eingeräumt: „Einen starken Einfluss hat auch Wildverbiss“, heißt es, um freilich relativierend fortzufah-ren:. „All dieses hat dazu geführt, dass einige Baumarten, z. B. Elsbeere, Wild-Birne, in man-chen Regionen auch Weiß-Tanne, nur noch selten in den Wäldern anzutreffen sind oder in ihrem Verjüngungsprozess stark beeinträchtigt sind…“ Die herausragende Rolle des selektie-renden Wildverbisses wird ignoriert und gleichgestellt mit anderen biotischen Faktoren (z. B. Insekten und Pilze). So ist es auch nicht verwunderlich, dass im Pkt 1.2.6.3 (Genetische Ero-sion von forstgenetischen Ressourcen: Bewertung und Präventationsmechanismen) zwar die Vorgaben von FoVG und BLAG-FGR wie auch der Zertifizierungssysteme angesprochen werden, nicht aber die jagdgesetzlichen Vorgaben. Die Vordringlichkeit einer Jagdgesetzno-vellierung vor dem Hintergrund der festgestellten Erosion der forstgenetischen Ressourcen wie auch des vom Klimawandel erzwungenen Waldumbaus wird nicht erkannt.

Unter Pkt. 2.2 werden die Maßnahmen zur In-situ-Erhaltung forstlicher Genressourcen auf-geführt. Dabei fällt auf, dass in der Abbildung 11 (Flächenanteile einzelner Baumarten, die dem FoVG unterliegen) nur „diejenigen Baumarten, die für die Forstwirtschaft in Deutschland von wirtschaftlicher Bedeutung sind“ aufgeführt sind, nicht aber die Anteile von Weiß-Tanne und Douglasie. Tatsächlich nehmen sich die Anzahl der In-situ-Bestände der Baumart Weiß-Tanne wie auch deren Flächengröße und die Anzahl der Einzelbäume erstaunlich bescheiden aus, wie aus der Tabelle 6 ersichtlich wird. Es wird kein Wort darüber verloren, dass dies im Grunde eine unhaltbare und dringend änderungsbedürftige Situation ist, wenn denn der Weiß-Tanne oder der Douglasie als klimaharten und risikoarmen Baumarten im Wald der Zukunft eine größere Verbreitung zukommen soll.
Handlungsbedarf wird immerhin unter Pkt. 2.4.2 (Prioritäten für zukünftige In-situ-Erhaltungsmaßnahmen einschließlich Forschung und Entwicklung) gesehen „unter Berück-sichtigung regionaler, d. h. länderspezifischer Schwerpunkte bei den Baumarten Stiel- und Trauben-Eiche, Vogel-Kirsche, Winter-Linde, Schwarz-Erle, Esche, Berg-Ahorn, Hainbuche, Robinie, Weiß-Tanne und Douglasie…“ Doch eine Priorisierung findet nicht statt. Dafür sol-len Richtlinien für Ausweisung und Erhaltung von Generhaltungswäldern erarbeitet werden, in denen verbindliche Begriffe definiert, die Ziele dargestellt und die praxisrelevante Umset-zung beschrieben werden. Man staunt, dass derlei nicht schon längst erfolgt ist.
Nicht minder erstaunlich ist der aktuelle Stand der Ex-situ-Erhaltung, der unter Pkt. 3 abge-handelt wird, wobei es sich um Auslagerungen (Evakuierungen) erhaltenswerter Genressour-cen aus ihren jeweiligen Vorkommensgebieten handelt. Aus den Übersichten der Tab. 9 und Tab. 10 ist zu entnehmen, dass Abies alba sich sowohl bei den Ec-situ-Beständen als auch bei den Ex-situ-Erhaltungsmaßnahmen für Saatgut bei insgesamt 58 Baumarten unter „ferner liefen“ wiederfindet. Zum Vergleich: Aufgeführt werden für die Weißtanne 10 Ex-situ-Bestände auf 8,7 ha, Buche 114 Bestände auf 122,3 ha, Fichte 120 Bestände auf 238,6 ha, Douglasie 153 Bestände auf 308,9 ha. An eingelagertem Saatgut werden für Weiß-Tanne 714 kg, für Buche 15 250 kg, für Fichte 1 331 kg und für Douglasie 712 kg ausgewiesen (Stand 2010). Wenigstens beim vorgehaltenen Saatgut von Weiß-Tanne und Douglasie scheint die Parität gewahrt zu sein; leider trügt der Schein, da die Weiß-Tanne im Gegensatz zur Dougla-sie zu den schwersamigen Waldbäumen zählt.
Betrachtet man die aufgezeigten Relationen und Schwerpunktsetzungen vor dem Hintergrund des Klimawandels und des sich möglicherweise daraus ergebenden künftigen Bedarfs, so muss der Beitrag der forstgenetischen Ressourcen zur nachhaltigen Entwicklung, wie er unter Pkt. 8.3 abschließend (und vergleichsweise nichtssagend) postuliert wird, als bescheiden an-genommen werden. Die Entwurfsfassung vergibt damit die Chance, wenigstens im Schluss-

kapitel ein gewisses Problembewusstsein zu schaffen, aus welchem heraus dann auch politi-sche Forderungen abgeleitet werden können. Hier ist Nacharbeit erforderlich.

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