Bild: Wolfgang Staiger

PRO BAHN und LNV zum Gäubahnneubau

„Pfaffensteigtunnel“ zwischen Böblingen und Landesflughafen:

Fragwürdige Fixierung der Projektträger auf ein ökologisch und finanziell nachteiliges Konzept

Alternativen mit günstigerem Nutzen/Kosten-Verhältnis sowie besserer und früherer Verkehrswirksamkeit müssen in die Planungen einbezogen werden

Der Landesnaturschutzverband (LNV) Baden-Württemberg und der Fahrgastverband PRO BAHN haben bei der Frühen Bürgerbeteiligung durch die Deutsche Bahn Projekt Stuttgart-Ulm GmbH (PSU) zum Gäubahnneubau „Pfaffensteigtunnel“ zwischen Böblingen und Flughafen der Projektträgerin PSU eine ausführliche Stellungnahme übermittelt. Die beiden Verfasser, Dr. Wolfgang Staiger von PRO BAHN und Stefan Frey vom Landesnaturschutzverband, kritisieren nicht nur, sondern zeigen auch konstruktive Lösungsmöglichkeiten zum Nutzen von Fahrgästen, Bahnbetrieb und Umwelt auf.

Pfaffensteigtunnel blendet günstigere Alternative aus
Die Festlegung des Projektträgers auf den nach heutigen Preisen bereits über 1,2 Mrd. teuren Pfaffensteigtunnel blendet völlig zu Unrecht Alternativen aus. Sie behandelt erhebliche Beschleunigungspotenziale zwischen Stuttgart und der Schweizer Grenze völlig unter Wert. So z. B. den relativ kostengünstigen eingleisig geplanten rund 3 km langen Sulzer Tunnel bei Sulz am Neckar (Kreis Rottweil), der zusammen mit dem schon bestehenden Gleis ein weiteres Stück Zweigleisigkeit schaffen würde. Dieser Tunnel wurde in der Präsentation der PSU zum Gäubahn-Ausbau in Leinfelden schlicht vergessen.

Internationale und überregionale Bedeutung der Gäubahn wird missachtet
Die Interessen des gesamten Landes, so Staiger und Frey, müssten beim Ausbau der Gäubahn in den Blick genommen werden, nämlich deren Bedeutung a) als regionale und überregionale Pendlerstrecke für zahlreiche Städte und Gemeinden in fünf Landkreisen,
b) als internationale Schienenverbindung des Personenverkehrs und c) als Strecke auch für den Güterverkehr. Das alles erfordere baldige Maßnahmen entlang der Strecke und nicht nur im Bereich westlich des Flughafens.

Maßnahmen entlang der Strecke sind die eigentlich rentablen
Insofern sei die Aufteilung des Gäubahnausbaus neuerdings in eine Stufe l für den Pfaffensteigtunnel und Stufe Il für Maßnahmen entlang der Strecke unklug. Die Abfolge müsste genau umgekehrt sein.
Der Pfaffensteigtunnel ist für sich betrachtet unwirtschaftlich. Er kommt nur deshalb (relativ knapp) über die magische Schwelle von 1,0 des Bewertungsverfahrens, weil er mit den sehr rentablen Maßnahmen (Wert 2,7) entlang der Strecke Böblingen – Singen – Schweizer Grenze gekoppelt wurde.

Alle IC-Halte beibehalten – Singen nicht „links liegen“ lassen
Die beiden Umwelt- und Verkehrsverbände mahnen eine unveränderte und umsteigefreie Bedienung der IC-Haltepunkte Böblingen und Singen an. Sie warnen davor, die Singener Kurve (eine frühestens in etwa 12 Jahren realisierbare, für den Güterverkehr sehr sinnvolle Maßnahme) dazu einzusetzen, auch im Personenverkehr Singen „links liegen zu lassen“. Die Züge würden künftig dann am Haltepunkt Singen-Landesgartenschau westlich der Kernstadt halten; die Fahrgäste müssten somit in einen Nahverkehrszug umsteigen, um zum (Knoten-) Bahnhof Singen zu gelangen. Die mit einem solch fahrgastunfreundlichen Schritt angestrebten Fahrzeitgewinne lassen sich durch andere Maßnahmen entlang der Strecke besser erreichen.

Auswirkungen der Gäubahnkappung in Stuttgart-Vaihingen wird ignoriert
LNV und Fahrgastverband PRO BAHN vermissen bei der Präsentation der PSU die Darstellung der Auswirkungen der langjährigen Gäubahnkappung in Stuttgart-Vaihingen. Dadurch wird für Fahrgäste der Stuttgarter Hauptbahnhof ab 2025 viel schlechter erreichbar, und zwar für mindestens zehn Jahre bis 2035. Nach der ursprünglichen Planung waren es laut Planfeststellungsbeschluss nur etwa vier Monate. Ein Grund für die viel längere Unterbrechung ist die lange Realisierungsdauer des Pfaffensteigtunnels. Dieser soll die Gäubahn – in ihrem Stuttgarter Abschnitt auch Panoramabahn genannt – ja dereinst ersetzen. Die von der Bahn präsentierten Ersatzlösungen ab Stuttgart-Vaihingen durch Umstieg in Stadtbahn und S-Bahn vermögen nicht zu überzeugen. Konsequent zu Ende gedacht, müssten dann ja auch die anderen auf Stuttgart zuführenden Bahnstrecken z.B. in Stuttgart-Feuerbach und in Bad Cannstatt enden und die Gäste dort in den Nahverkehr umsteigen.

Deutschlandtakt mit leichter umsetzbaren Maßnahmen möglich
PRO BAHN und LNV bezweifeln auch, dass der Deutschlandtakt allein mit dem Pfaffensteigtunnel ermöglicht werden kann. Für diesen Fahrplan sind nämlich weitere, bisher noch nicht finanzierte Maßnahmen insbesondere im Nordzulauf zum Hauptbahnhof Stuttgart erforderlich. Zudem gibt es im Filderbereich andere leichter realisierbare Maßnahmen; Beispiel: Bau von dreigleisigen Abschnitten zwischen Stuttgart-Rohr und Herrenberg zur besseren Fahrplanstabilität, was vor allem bedeutet, dass Fern-,Regional- und S-Bahnverkehr sich bei der Streckennutzung weniger „in die Quere kommen“ und unabhängiger voneinander sowie pünktlicher die Strecke nutzen können.

Autobahn-parallele Alternative bietet bessere Möglichkeiten
Beide Verbände betonen weiter, dass sich statt des über 11 km langen zweiröhrigen Pfaffensteigtunnels eine teilweise oberirdische Führung der Schiene zwischen Böblingen und Flughafen entlang der Autobahn A 8 anbietet, mit der ähnliche Fahrzeiten erreicht werden. Ein solcher Vorschlag ist auch von Walter Bauer, Gemeinderatsmitglied in Filderstadt, und dem Stuttgarter Architektenbüro Mader vorgebracht worden. Der Vorschlag fand Eingang in die aktuelle Stellungnahme von LNV und PRO BAHN. Seine Kosten liegen deutlich unter denen des Pfaffensteigtunnels. Eine autobahnparallele Führung wäre bautechnisch möglich. Auf diesem Vorschlag aufbauend hat PRO BAHN einen weiteren Vorschlag erarbeitet, der Vorteile sowohl für die Bedienung des Hauptbahnhofs Stuttgart als auch des Flughafens bietet und außerdem eine Weiterführung nach Wendlingen ermöglicht, auch zur Entlastung der chronisch staugefährdeten Autobahnen A 81/A8 zwischen Böblingen und Wendlingen.

Staiger und Frey abschließend: „Wenn 27 Jahre nach Vorstellung des Konzepts Stuttgart 21 im April 1994 zur Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart ein wesentlicher Teil des Konzepts geändert und durch eine gänzlich neue – von der Bahn zunächst gar nicht befürwortete – Planungsidee von 2021 ersetzt werden soll, dann dürfen andere sinnvolle und auch kostengünstigere Alternativen nicht von vornherein ausgeblendet werden.“

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