Natura 2000 – Lücken im Naturschutznetz?

LNV-Zukunftsforum: Wo stehen wir heute, wo müssen wir hin?

Beim 14. Zukunftsforum des Landesnaturschutzverbandes (LNV), Dachverband von 34 Natur- und Umweltschutzvereinen im Land, am 30. November ging es zwar in erster Linie um Maßnahmen und Instrumente zur Weiterentwicklung des Europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000. Zuvor wurden aber auch philosophisch-ethische Fragen erörtert und die Wertebegriffe von Natur und Landschaft beleuchtet.

Die Veranstaltung „Natura 2000 in Baden-Württemberg – Lücken im Naturschutznetz? Wo stehen wir heute, wo müssen wir hin“ lockte über 150 Tagungsteilnehmer ins Haus der Architekten nach Stuttgart. Experten aus Wissenschaft, Praxis und Politik widmeten sich unter anderem folgenden Fragen: Wie ist der Umsetzungsstand von Natura 2000 in Baden- Württemberg? Welche Instrumente gibt es? Warum schützen wir eigentlich die Natur?

Nach einer kurzen Einführung durch den LNV-Vorsitzenden Reiner Ehret, der hier sogleich auf die wichtige Arbeit der nunmehr 24 Landschaftserhaltungsverbände (LEV) hinwies, stand eine philosophische Betrachtungsweise von Naturschutz auf dem Programm.

Naturschutz – wozu?

Prof. Dr. Thomas Potthast von der Universität Tübingen erläuterte verschiedene Verwendungsweisen des Begriffs „Natur“, die immer wieder durcheinander gehen. Der Bioethiker verdeutlichte aber auch, dass Naturschutz nur funktioniere, wenn ausreichend Wissen – im naturwissenschaftlichen Sinne – vorhanden sei. Er sprach von drei Wertedimensionen der Natur: Dem Nutzwert, dem Eigenwert und dem Selbstwert. Der Philosoph argumentierte dafür, „Mensch und Natur“ nicht als Gegensatzpaar zu betrachten, sondern vielmehr die Frage einer gelingenden oder misslingenden Interaktion stärker zu durchleuchten. Beim Naturschutz stünden sich in erster Linie menschliche Zielkonflikte gegenüber. Seiner Meinung nach gebe es viele gute Gründe, die Natur zu erhalten. Die ganze Bandbreite von Natur und Biologischer Vielfalt müsse allerdings deutlich kommuniziert werden. Vor öffentlichem Moralisieren warnte er indes.

Dass Schutzgebiete einen wichtigen Teil zum Erhalt der biologischen Vielfalt und zur Sicherung von Umweltleistungen beitragen, ist laut Claus Mayr, NABU-Direktor für Europapolitik bei BirdLife in Brüssel, erwiesen. Seiner Erkenntnis nach besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Größe eines Schutzgebiets und der Effektivität der Maßnahmen. Das Problem bei der bisher schleppenden Umsetzung von Natura 2000 seien wirkungslose Schutzgebietsverordnungen und teilweise fehlende bzw. unzureichende Managementpläne. „Wir brauchen eine vollständige Umsetzung der Richtlinien und entsprechende Kontrollen“, sagte der Experte. Zum Lückenschluss des Schutzgebietsnetzes sei aber auch eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung zwingende Voraussetzung. Massiv verbessert werden müsse der Bekanntheitsgrad von und die Akzeptanz für Natura 2000: Im EU-Schnitt wissen nur 11% der Befragten mit dem Begriff etwas anzufangen.

Natura 2000 in Baden-Württemberg

Als dritter Referent erklärte Norbert Höll von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) den aktuellen Stand der Umsetzung von Natura 2000 im Land. Entsprechend der FFH-Berichtsmeldung 2013 sind die Erhaltungszustände von 33 der insgesamt 122 FFH-Arten ungünstig und bei 28 Arten sogar schlecht. Bei den Lebensraumtypen haben gar über 50% einen ungünstig bis schlechten Erhaltungszustand. Er bezeichnete die Einführung von Landschaftserhaltungsverbänden (LEV) als regelrechten Quantensprung für die Umsetzung von Natura 2000. Wichtige Maßnahmen, die vorrangig ergriffen werden müssten, seien eine verbesserte Informationspolitik über den Zustand der Schutzgüter und die Beschleunigung von Erhaltungsmaßnahmen, wie beispielsweise für die stark gefährdeten und rückläufigen mageren Flachland- und Bergmähwiesen.

Anschließend meinte auch Mathias Kramer von der Ornithologischen Gesellschaft Baden-Württemberg „Es ist noch nicht alles gut“. Er stellte das landesweite Brutvogelmonitoring vor, das die Beurteilung von Bestandstrends erlaube und insbesondere für die Vögel der Feldflur bedenkliche Ergebnisse dokumentiere. Zitronenzeisig, Grauspecht und Braunkehlchen wurden als Beispiele für die negativen Entwicklungen – selbst in Vogelschutzgebieten – angeführt. Seine Aufforderung lautete: Es muss jetzt in der genutzten Kulturlandschaft ganz viel passieren.

Wege und Strategien für Natura 2000

Wie mit Hilfe von EU-Geldern schöne Erfolge erreicht werden können, zeigte Jost Einstein am Beispiel des Federsees bei Bad Buchau. Der Leiter des Naturschutzzentrums Federsee beschrieb das europäische Förderprogramm LIFE+ als ein sehr hilfreiches Instrument bei der Umsetzung von Großprojekten. Ganz besonders wichtig sei ein detaillierter Projektantrag, da dessen Einzelmaßnahmen absolut verpflichtend seien und wohl überlegt werden sollten. Neben der Begeisterung über das Erreichte war aber leise Kritik angesichts der mangelnden Flexibilität des Förderprogrammes nicht zu überhören.

Praktische Ansätze zur Umsetzung von Natura 2000 zeigte anschließend Ralf Worm in einem mitreißenden Vortrag auf. Er ist Geschäftsführer des Landschaftserhaltungsverbandes Ostalbkreis und berichtete von seinen Strategien und Erfolgsrezepten. Er ermutigte generell zu mehr Pragmatismus und dazu, „sich etwas zu trauen“. Großer Handlungsbedarf besteht seiner Meinung nach beim Erhalt von Blumenwiesen.

Zum Schluss der Veranstaltung brachte Ministerialdirektor Wolfgang Reimer die wichtigsten politischen Aspekte mit in die Diskussion ein. Er zog eine positive Bilanz der Landesregierung. Zu Beginn der Legislaturperiode habe ein enormes Defizit beim Naturschutz bestanden. Mittlerweile flössen aber erhebliche Mittel und es gebe mehr Personal. Grundlage für Planungen und Maßnahmen sei die Naturschutzstrategie des Landes. „Diese ist der Fahrplan unserer Arbeit“, sagte Reimer. Als großen Erfolg der grün-roten Landesregierung bezeichnete er das Grünlandumbruchverbot. Das Greening-Gebot seitens der EU nannte er einen zahnlosen Tiger. „Wir müssen auf Landesebene aktiv bleiben“, schlussfolgerte der Amtschef des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums (MLR). In diesem Zusammenhang appellierte er an die Naturschutzverbände, das Land bei der Umsetzung von Natura 2000 auch weiterhin zu unterstützen.

Mit einer offenen Fragerunde mit Ministerialdirektor Reimer und dem stellvertretenden LNV-Vorsitzenden Dr. Gerhard Bronner als Gesprächspartner endete die ganztägige Veranstaltung. Bronner gab Reimer die Quintessenz einer Halbzeitbewertung der Legislaturperiode durch den LNV mit auf den Weg: „Weiter so im gleichen Tempo!“

Tagungsberichte
Download: LNV-PM zum Zukunftsforum

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