Besucherdruck in der Natur – LNV-Position

LNV-Info 1/2023
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Besucherdruck in der Natur
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Problemaufriss

Naturbezogene Freizeitaktivitäten haben sich international zu einem Massenphänomen entwickelt [1]. Aus dem jüngsten Freizeit-Monitor, den die Stiftung für Zukunftsfragen im Jahr 2021 vorgelegt hat, geht hervor, dass „sich in der Natur aufhalten” auch in Deutschland eine immer beliebter werdende Freizeitbeschäftigung ist [2]. Über die Hälfte der Befragten gab an, mindestens einmal pro Woche die „Natur” aufzusuchen und für Viele spielt der Aufenthalt in und das Erleben von Natur eine wichtige Rolle für ihr Wohlbefinden. Aber was ist überhaupt mit dem Begriff Natur gemeint? Beim Versuch einer Definition bewegen wir uns, wie es der Natursoziologe Rainer Brämer treffend formuliert, in einem „begrifflichen Irrgarten“ [3]. Ursprünglich als Totalbegriff für die „Gesamtheit der Dinge, aus denen die Welt besteht“, verstanden [4], wird heute je nach Perspektive Verschiedenes mit den Begriff Natur belegt. Im Folgenden soll unter Natur im Wesentlichen die den Menschen umgebende natürliche Umwelt außerhalb der Siedlungsbereiche, die „freie Landschaft“ im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes verstanden werden, immer im Bewusstsein, dass es sich dabei bei uns fast durchweg um Kulturlandschaft handelt.

Wichtig hervorzuheben ist, dass ein hoher Besucherdruck kein flächendeckendes Phänomen ist. Daraus ergibt sich, dass bei einem niedrigen Besucherdruck selbst in ökologisch sensiblen Bereichen keine substanziellen Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Anders sieht es aus, wenn der Besucherdruck hoch ist. In störungstoleranten „Normallandschaften“ ist dies noch vergleichsweise unproblematisch, in ökologisch sensiblen Bereichen besteht aber dringender Handlungsbedarf, um naturschutzrelevante Störungen zu minimieren.

Freizeitaktivitäten

Die Freizeitaktivitäten in der Natur sind vielfältig und reichen vom Spazierengehen über „Photo-Safaris“ oder Geocaching bis hin zur Ausübung von sogenannten Natursportarten (Stand-Up-Paddling, Downhill-MTB, Klettern & Bouldern, etc.) , die keineswegs den Anspruch erheben, per se naturverträglich zu sein, sondern es nur dann sein können, wenn ihre Ausübung mit den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vereinbar ist. Die Gründe für eine verstärkte Freizeitgestaltung in der Natur beinhalten u. a. folgende [5]:

• eine Zunahme der zur Verfügung stehenden Freizeit aufgrund kürzerer Arbeitszeiten und einer gestiegenen Lebenserwartung;
• eine größere Mobilität, die es einer Vielzahl von Personen ermöglicht, in die meist abseits urbaner Zentren gelegenen Naturgebiete zu gelangen;
• ein Wandel im Freizeitverhalten des Menschen: Stand früher die Regeneration der Arbeitskraft im Vordergrund, ist heute eine klare Orientierung auf Aktivität und Erleben festzustellen;
• Natur als bewusst aufgesuchter Gegenraum zu den meist urbanen Alltagsräumen der Bevölkerung, der auf der Suche nach landschaftlicher Schönheit, mit dem Wunsch nach Entschleunigung, aufgrund eines ökologischen Bewusstseins oder zur Weiterbildung aufgesucht wird.

Zu diesen generellen Antriebskräften des Besucherdrucks in der Natur kommt hinzu, dass in letzter Zeit soziale Netzwerke wie Instagram, Komoot oder diverse Geocaching-Apps eine Besucherkonzentration an bestimmten Orten fördern, mit zum Teil gravierenden Auswirkungen auf die Natur und die ansässige Bevölkerung. Nicht zuletzt hat in den letzten beiden Jahren auch die Corona-Pandemie mit Reise- und Kontaktbeschränkungen zum Ansturm auf die heimische Natur [6] und damit zur Verschärfung des bereits zuvor bestehenden Besucherdrucks beigetragen. Verschiedene europäische Großschutzgebiete verzeichneten während der ersten Corona-Welle Tage mit einer Verdoppelung der Besucherzahlen gegenüber Vor-Corona Zeiten [7], vermutlich weil von Vielen Outdoor-Aktivitäten aufgrund geringerer Ansteckungsgefahr als sicherer angesehen wurde als Indoor-Aktivitäten. Durch den gestiegenen Besucherstrom haben sich auch Konflikte zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen, etwa zwischen Wanderern/Spaziergängern und Mountainbikern verstärkt. Auch wurde ein verändertes Besucherprofil während der Pandemie festgestellt: verglichen mit Vor-Pandemie-Zeiten sind mehr Personen mit einem geringen Umweltbewusstsein in der Natur unterwegs [7]. Abnehmende Sensibilität und Gleichgültigkeit führen vielerorts zu einem problematischen Besucherverhalten, sowohl aus ökologischer als auch aus sozialer/gesellschaftlicher Perspektive. Für den LNV als Dachverband von Naturschutzverbänden in Baden-Württemberg ist dies Grund genug, sich der Thematik anzunehmen und im vorliegenden Positionspapier Vorschläge zur Beruhigung der Situation zu machen.

Rechtliche Grundlagen für den Zugang zur Natur

Schon in Paragraf 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ wird explizit in Abs. 3 erwähnt, dass „zum Zweck der Erholung in der freien Landschaft nach ihrer Beschaffenheit und Lage geeignete Flächen vor allem im besiedelten und siedlungsnahen Bereich sowie großflächige Erholungsräume zu schützen Natur ist demnach ein gesetzlich zugesichertes Gut.

Auch der Zugang zur Natur ist in Deutschland durch das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) grundsätzlich geregelt [8]. Dort findet sich in § 59: Betreten der freien Landschaft, Abs. 1 folgende Aussage: „Das Betreten der freien Landschaft auf Straßen und Wegen sowie auf ungenutzten Grundflächen zum Zweck der Erholung ist allen gestattet (allgemeiner Grundsatz)”.

Im Gesetz des Landes Baden-Württemberg zum Schutz der Natur und zur Pflege der Landschaft (Naturschutzgesetz – NatSchG) in der Novellierung vom 23. Juni 2015 wird das Betretungsrecht etwas eingeschränkt [9]: „Das Recht auf Erholung findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, den Interessen der Allgemeinheit und in den Rechten Dritter. Bei der Ausübung des Rechts auf Erholung sind alle verpflichtet, pfleglich mit Natur und Landschaft umzugehen und Rücksicht insbesondere auf die wild lebenden Tiere und Pflanzen, die Belange der Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigten sowie anderer Erholungssuchender zu nehmen” (§ 43 NatSchG Recht auf Erholung). In folgendem Paragrafen (§ 44 NatSchG Schranken des Betretungsrechts) werden die Beschränkungen weiter konkretisiert:

(1) Das Betretungsrecht gemäß § 59 Absatz 1 BNatSchG umfasst nicht das Fahren mit motorisierten Fahrzeugen, das Abstellen von motorisierten Fahrzeugen und Anhängern, das Zelten oder das Feuermachen. Das Fahren mit Fahrrädern oder Pedelecs (Fahrräder mit elektrischer Motorunterstützung) ohne oder mit Anhänger, elektronischen Mobilitätshilfen nach § 1 Absatz 1 der Mobilitätshilfenverordnung sowie Krankenfahrstühlen mit oder ohne Motorantrieb ist auf hierfür geeigneten Wegen erlaubt. Auf Fußgänger ist Rücksicht zu nehmen.
(2) Landwirtschaftlich genutzte Flächen dürfen während der Nutzzeit nur auf Wegen betreten werden. Als Nutzzeit gilt die Zeit zwischen Saat oder Bestellung und Ernte, bei Grünland die Zeit des Aufwuchses und der Beweidung. Sonderkulturen, insbesondere Flächen, die dem Garten-, Obst- und Weinbau dienen, dürfen nur auf Wegen betreten werden.
(3) In Schutzgebieten richtet sich das Betretungsrecht nach den jeweiligen Schutzbestimmungen. Soweit die Rechtsverordnung keine Regelung enthält, ist das Radfahren und das Fahren mit Krankenfahrstühlen in Naturschutzgebie-ten nur auf Straßen und geeigneten Wegen gestattet
(4) Wer die freie Landschaft betritt, ist verpflichtet, von ihm abgelegte Gegenstände und Abfälle wieder an sich zu nehmen und zu entfernen.
(5) Die Naturschutzbehörde oder die Ortspolizeibehörde kann durch Rechtsverordnung oder Einzelanordnung das Betreten von Teilen der freien Landschaft aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere bei Gefahr für Leib oder Leben der Erholungssuchenden, aus Gründen des Natur- und Artenschutzes, zur Durchführung landschaftspflegerischer Vorhaben und zur Regelung des Erholungsverkehrs beschränken oder untersagen.

Im Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz) wird in § 14 das Betreten des Waldes grundsätzlich geregelt [10].
(1) Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet. Das Radfahren, das Fahren mit Krankenfahrstühlen und das Reiten im Walde ist nur auf Straßen und Wegen gestattet. Die Benutzung geschieht auf eigene Gefahr. Dies gilt insbesondere für waldtypische Gefahren.

(2) Die Länder regeln die Einzelheiten. Sie können das Betreten des Waldes aus wichtigem Grund, insbesondere des Forstschutzes, der Wald-
oder Wildbewirtschaftung, zum Schutz der Waldbesucher oder zur Vermeidung erheblicher Schäden oder zur Wahrung anderer schutzwürdiger Interessen des Waldbesitzers, einschränken und andere Benutzungsarten ganz oder teilweise dem Betreten gleichstellen.

Im Waldgesetz für Baden-Württemberg (Landeswaldgesetz) wird der o. g. Absatz 2 u. a. in § 37 (Betreten des Waldes) umgesetzt [11]:
(1) Jeder darf Wald zum Zwecke der Erholung betreten. Das Betreten des Waldes erfolgt auf eigene Gefahr. Neue Sorgfalts- oder Verkehrssicherungspflichten der betroffenen Waldbesitzer oder sonstiger Berechtigter werden dadurch, vorbehaltlich anderer Rechtsvorschriften, nicht begründet. Wer den Wald betritt, hat sich so zu verhalten, dass die Lebensgemeinschaft Wald und die Bewirtschaftung des Waldes nicht gestört, der Wald nicht gefährdet, beschädigt oder verunreinigt sowie die Erholung anderer nicht beeinträchtigt wird.
(2) Organisierte Veranstaltungen bedürfen der Genehmigung durch die Forstbehörde.
(3) Das Fahren mit Krankenfahrstühlen (auch mit Motorantrieb), das Radfahren und das Reiten im Wald sind nur auf Straßen und hierfür geeigneten Wegen gestattet. Auf Fußgänger ist Rücksicht zu nehmen. Nicht gestattet sind das Reiten auf gekennzeichneten Wanderwegen unter 3 m Breite und auf Fußwegen, das Radfahren auf Wegen unter 2 m Breite sowie das Reiten und Radfahren auf Sport- und Lehrpfaden; die Forstbehörde kann Ausnahmen zulassen. § 45 Absatz 2 Satz 2 NatSchG bleibt unberührt.
(4) Ohne besondere Befugnis ist nicht zulässig
1. das Fahren und das Abstellen von Kraftfahrzeugen oder Anhängern im Wald,
2. das Zelten und das Aufstellen von Bienenstöcken im Wald,
3. das Betreten von gesperrten Waldflächen und Waldwegen,
4. das Betreten von Waldflächen und Waldwegen während der Dauer des Einschlages oder der Aufbereitung von Holz,
5. das Betreten von Naturverjüngungen, Forstkulturen und Pflanzgärten,
6. das Betreten von forstbetrieblichen und jagdbetrieblichen Einrichtungen.
(5) Der Waldbesitzer hat die Kennzeichnung von Waldwegen zur Ausübung des Betretens zu dulden. Die Kennzeichnung bedarf der Genehmigung der Forstbehörde.
(6) Die Vorschriften des Straßenverkehrsrechts bleiben unberührt, ebenso andere Vorschriften des öffentlichen Rechts, die das Betreten des Waldes (Absatz 1 und Absatz 3) einschränken
oder solche Einschränkungen zulassen.

Werden die in den gesetzlichen Regelungen auf Bundes- und Landesebene gemachten Vorgaben eingehalten, ist ein Betreten der Natur also prinzipiell erlaubt. Dennoch ergibt sich aus dem erhöhten Besucheraufkommen und dem nicht immer regelkonformen Verhalten mancher BesucherInnen die Notwendigkeit, über Lenkungskonzepte für eine umweltverträgliche Freizeitnutzung von Natur und Landschaft nachzudenken.

Unterschiedliche Nutzergruppen haben unterschiedliche Auswirkungen auf Naturgüter

In Abhängigkeit der jeweiligen Nutzergruppen und der betroffenen Landschaftsausschnitte zeigt sich ein weites Spektrum unterschiedlicher Auswirkungen von Freizeitaktivitäten auf die Naturgüter. Zu den weitverbreitetsten landgebundenen Freizeitaktivitäten zählen Spazierengehen und Wandern. Während umweltrelevante Auswirkungen durch Spaziergänge auf Forst- oder Feldwegen als gering zu erachten sind, kann der Grad der Störung bereits deutlich zunehmen, wenn beispielsweise die Spaziergänger von (unangeleinten) Hunden begleitet werden, querfeldein oder zur Nachtzeit (z. B. auch im Rahmen von Geocaching, dessen umweltrelevante Auswirkungen exemplarisch in Textbox 2 dargestellt sind) gelaufen wird. Starke negative Auswirkungen auf den Artenschutz können winterliche Aktivitäten (Schneeschuhwandern, Skifahren) abseits von markierten Wegen und Pisten haben, wodurch Wildtiere in einer für sie ohnehin schwierigen Jahreszeit potenziell letalen Störungen ausgesetzt sind. Es lassen sich demnach Wirkungsgradienten von Freizeitaktivitäten in der Natur feststellen, die bei der Entwicklung von Besucherlenkungsstrategien zu berücksichtigen sind.

Gerade das Wandern als beliebte Freizeitbeschäftigung in der Natur hat während der Pandemie großen Zulauf erfahren. Der Wandermonitor 2020/21 belegt, dass die Wanderintensität deutlich gestiegen ist und dass der Besucherdruck in der Natur umso größer war, je stärker die Corona-bedingten Restriktionen ausfielen [12]. Dennoch kann Wandern und Spazierengehen insgesamt als weitgehend naturverträglich betrachtet werden, sofern die Wege nicht verlassen werden, sich der Andrang in Grenzen hält und Störungen auf Tiere und Pflanzen gering bleiben. Der Anlage und Pflege des Wanderwegenetzes kommt hierbei eine wichtige Rolle für die Besucherlenkung zu. Wanderwege sollten sensible Bereiche meiden, aber dennoch attraktive Naturräume erschließen. Ferner sollten sie gut markiert und ausgeschildert sein, um eine problemlose Nutzung zu gewährleisten und zugleich Trittschä-

den und Störungen von Flora und Fauna so gering wie möglich zu halten.
Neben dem Wandern existiert eine Vielzahl von Natursportarten, die auf unterschiedliche Naturräume zurückgreifen und damit für unterschiedliche Störpotentiale sorgen können. Insbesondere die Freizeitaktivitäten in der Natur, die sich in letzter Zeit vollzogen hat [13], ist ökologisch relevant. Sie hat nicht nur die Erschließung neuer Räume zur Folge, sondern auch eine Nutzungsausweitung in neue Zeiträume hinein (z. B. tageszeitlich: spätnachmittags, abends, zur Dämmerungsphase; saisonal: wenig/nicht genutzte Jahreszeiten), die zuvor entweder von anderen Gruppen (z. B. Jagd, Forst, Waldbau, etc.) oder gar nicht genutzt wurden. Störung von Wildtieren, Bodenerosion und Trittbelastung, Beeinträchtigung/Zerstörung der Vegetation, Etablierung neuer Wege und Pfade durch Querfeldein-Laufen/-Radeln/-Reiten, Fahren mit MTB oder Geländemotorrädern, Stickstoffeintrag, Nutzung von künstlichem Licht etc. sind Eingriffe landgebundener sportlicher Freizeitaktivitäten in der Natur.

Hinzu kommen Freizeitaktivitäten zu Wasser und in der Luft. Zu ersteren zählen Baden in Bächen, Flüssen und Seen sowie verschiedene Wassersportarten (Kanu, Ruderboot, Rafting, Stand-Up-Paddling, Segeln, Windsurfing, Wakeboarding, …), wodurch es zur Gewässerverunreinigung kommen kann und wasserbewohnende Organismen sowie Flora und Fauna der Uferbereiche beeinträchtigt werden. Auch die Verschleppung von Krankheiten (z. B. Krebspest) oder von invasiven Neobiota (z. B. Springkräuter, Staudenknöteriche, Krebse) sind umweltrelevante Auswirkungen. Unter den Aktivitäten in der Luft, von denen ökologische Beeinträchtigungen ausgehen können, sind der Segelflug, Drachen- und Gleitschirmfliegen, Modellfliegerei und in jüngerer Zeit in zunehmendem Maß die unkontrollierte Befliegung mit Drohnen zum Freizeitvergnügen zu nennen. Bewegungen in der Luft werden von vielen Tieren als Angriff wahrgenommen, was Fluchtreflexe auslöst, unnötigen Stress bedeutet und zusätzliche Energie kostet. Die durch Freizeitaktivitäten in der Natur hervorgerufenen direkten ökologischen Eingriffe gehen i.d.R. mit weiteren indirekten Auswirkungen einher. Hierzu zählen u. a. wildes Parken und das Befahren von Grünland bei Überlastung des vorhandenen Parkraumes sowie die Müllproblematik (Gartenabfälle, Sperrmüll, Hundekotbeutel, Fastfood- und Getränkeverpackungen, Flaschen).

Unterschiedlich sensible Bereiche

In Deutschland sind gravierende Auswirkungen auf den Naturhaushalt durch menschliche Freizeitaktivitäten in der Natur nicht flächendeckend zu erwarten. Gerade in großflächig ausgeräumten Agrarlandschaften ist durch eine (gelenkte) Freizeitnutzung kaum zusätzlicher ökologischer Schaden anzurichten. Auch baumartenarme Altersklassenwälder können zu den unempfindlicheren „Normallandschaften“ gerechnet werden, die gegenüber einer geregelten Freizeitnutzung (Radfahren, Geocaching, …) weitgehend resistent sind. Problematischer sind beispielsweise trittempfindliche Standorte und Habitate von störungsempfindlichen Bodenbrütern, da sie vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten, weshalb hier Wege unbedingt eingehalten und Querfeldein-Laufen/
-Fahren unterbunden werden müssen. Gleiches trifft auf das Betreten von Ackerflächen und Grünland in der Aufwuchs- und Brutzeit zu, da es zum Brutabbruch bei Bodenbrütern führen kann und für Jungtiere Stress bedeutet. Freilaufende Hunde haben denselben Effekt, selbst wenn sich die HalterInnen an Wege halten. Aus botanischer Sicht ist das Pflücken von seltenen Blumen und Kräutern problematisch, v.a. wenn geschützte Arten (z. B. Schlüsselblumen, Orchideen, …) betroffen sind. Zu offensichtlichen Interessenskollisionen kann es im Bereich geschützter Biotope (in der Regel nicht beschildert) und Schutzgebiete kommen, die auf der einen Seite größtmöglichen Schutz der Natur bieten sollen, auf der anderen Seite als besonders attraktive Naturräume gezielt aufgesucht werden, was oft mit Lärm, Verschmutzung und Umweltbelastung einhergeht.

Die sozial-gesellschaftliche Dimension des Besucherdrucks in der Natur

Der Besucherdruck in der Natur hat neben einer ökologischen auch eine soziale bzw. gesellschaftliche Dimension. Wie die ökologischen Probleme gehen auch sie auf bewusstes oder unbewusstes Fehlverhalten der BesucherInnen zurück. Ein steigender Besucherandrang ist nicht selten mit einer Überlastung des vorhandenen Parkraumes verbunden, mit der Folge, dass verstärkt “wild geparkt” und dabei die ansässige Bevölkerung behindert wird. Nicht selten werden Privatgrundstücke widerrechtlich betreten und/oder landwirtschaftliche Flächen geschädigt. Auch das unberechtigte Befahren gesperrter Wege mit Autos, Geländemotorrädern oder MTBs ist hier zu nennen. Während es sich bei diesen Vergehen i. d. R. um Ordnungswidrigkeiten handelt, ist die illegale Entnahme von landwirtschaftlichen Gütern, z. B. das Pflücken von Obst auf öffentlich zugänglichen Streuobstwiesen, juristisch als Diebstahl zu betrachten, es sei denn der Konsum ist über Plattformen wie “Mundraub.org” [14] explizit gestattet. Ein verstärkter Anfall von Müll in Zusammenhang mit höheren Besucherzahlen ist nicht nur ein ökologisches Problem, sondern auch ein gesellschaftliches, da es mit der Verunreinigung von Boden und Trinkwasser einhergeht sowie zu Verletzungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen führen kann. Flaschen sind zum Beispiel potenzielle Fallen für Insekten und Kleinsäuger. Nicht zuletzt wirkt sich auch eine zunehmende Lärmbelastung negativ auf die Lebensqualität der Anwohner aus.

Potenzielle Besucherlenkungsmaßnahmen

Um Beeinträchtigungen der Natur durch einen zunehmenden Freizeitdruck zu minimieren, sind trotz umfangreicher gesetzlicher Regelungen weitere Besucherlenkungsmaßnahmen erforderlich. Hierbei lassen sich generell zwei Maßnahmenbündel unterscheiden, eines, das auf die Vermeidung von Besucherkonzentrationen in sensiblen Gebieten abzielt, und eines, das anstrebt, das Besucherverhalten positiv im Sinne des Natur- und Umweltschutzes zu beeinflussen [15]. Ob diese Ziele auf sozial-kommunikativem Weg (d. h. durch Rücksichtnahme, gegenseitiges Verständnis, Abrücken von Maximalforderungen, etc.) erreicht werden (können) oder normative Maßnahmen (Regeln, Kontrolle, Sanktionen, etc.) notwendig sind, muss von Fall zu Fall entschieden werden. In der Regel wird eine funktionierende Besucherlenkung auf einer Kombination aus beiden Ansätzen beruhen.

Als normative Maßnahmen zur Reduzierung der Besucherzahlen kommen in Betracht:

• Begrenzung der Gruppengröße im Bereich der touristischen Infrastruktur (z. B. Campingplatz)
• stringente Parkraumüberwachung und Ahndung von Verstößen
• saisonale (z. B. Brutzeiten) und/oder tageszeitliche Betretungsverbote (Dämmerungsphasen, nachts) nach § 44 Abs. 5 NatSchG
• Steuerung des Zugangs zu Schutzgebieten, z. B. durch eine Anmelde- bzw. Reservierungspflicht, wie sie beispielsweise bei Kanufahrten auf manchen Gewässern praktiziert wird. Hierdurch kann Einfluss auf die Gruppengröße und die Aufenthaltsdauer in Schutzgebieten genommen werden.

Eine Beeinflussung des Besucherverhaltens ist normativ u. a. durch Betretungsverbote ökologisch sensibler Bereiche sowie durch Wegegebote zu erreichen. Die Einhaltung solcher Regelungen sollte durch eine verstärkte Präsenz von Rangern, Naturschutzwarten, Feldhütern, etc. überwacht werden. In Baden-Württemberg können Gemeinden nach § 125 Polizeigesetz [16] Gemeindliche Vollzugsbedienstete (GVDs) bestellen, die die Rechtsstellung von Polizeibeamten haben. Den GVDs können von den Gemeinden Aufgaben nach dem Katalog des § 31 Abs. 1 der Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung des Polizeigesetzes (DVO PolG) übertragen werden. Darüber hinaus gehende Aufgaben dürfen nur mit Zustimmung des Regierungspräsidiums übertragen werden (§ 31 Abs. 2 DVO PolG). Feldschutzaufgaben sind ausdrücklich in Nr. 7 des § 31 Abs. 1 DVO PolG aufgeführt, Umweltschutzaufgaben in der Nr. 6.

Fakt ist allerdings, dass nur sehr wenige Gemeinden einen GVD explizit mit Feldschutzaufgaben betrauen. Meist wird der gesamte Aufgabenkatalog des § 31 Abs. 1 übertragen, die Tätigkeit aber auf “lohnende” Schwerpunkte, insbesondere den Verkehrsbereich (vor allem Überwachung des ruhenden Verkehrs), beschränkt. Um den negativen Auswirkungen des Besucherdrucks in der Natur durch die Anstellung von (zusätzlichen) GVDs (mit Schwerpunkt Feldschutzaufgaben) begegnen zu können, müssten die genannten Gemeinden dafür vom Land ausreichende Unterstützung zur Abdeckung der Personalkosten erhalten und die in Frage kommenden Personen entsprechend fortbilden.

Der sozial-kommunikative Weg

Mindestens genauso wichtig wie normative Maßnahmen zur Beeinflussung des Besucherverhaltens ist es, sozial-kommunikativ über Informationskampagnen und Aufklärungsarbeit notwendige Verhaltenskodizes für eine Freizeitnutzung der Natur zu vermitteln und eine Sensibilisierung für Naturschutzbelange zu erreichen. Auch bieten moderne Formen der Kommunikationstechnologie Möglichkeiten, auf ein umweltverträgliches Besucherverhalten hinzuwirken, etwa durch eine gezielte Bewerbung resilienter Gebiete, respektive Nicht-Bewerbung sensibler Gebiete, oder durch das Anzeigen der aktuellen Frequentierung/Auslastung bestimmter Gebiete über Apps und auf Social-Media-Kanälen.

Wichtig für die Akzeptanz von Lenkungsmaßnahmen ist es, die Verhältnismäßigkeit im Blick zu behalten: In ökologisch weniger sensiblen, artenarmen und/oder von Allerweltsarten besiedelten Bereichen kann ohne naturschutzrelevante Verluste eine gewisse Freizeitnutzung stattfinden [17, 18]. In Schutzgebieten hat dagegen der Schutz der Natur im Vordergrund zu stehen. Eine völlige Blockade von Freizeitaktivitäten in der Natur darf jedenfalls nicht das Ziel des Naturschutzes sein. Ziel einer tragfähigen Freizeitnutzung in der Natur muss sein, Besucherzahlen zu erreichen, die weder mit ökologischen Belangen noch mit den Interessen der ansässigen Bevölkerung kollidieren, und die die Erwartungen der Besuchenden bestmöglich erfüllen.

Aufklärungsarbeit notwendig!

Um den ökologischen und gesellschaftlichen Problemen, die durch den steigenden Besucherdruck in der Natur ausgelöst werden, zielführend zu begegnen, ist Aufklärungsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen von Nöten. Bereits in Schulen und Kindergärten kann eine frühe Sensibilisierung für ein umweltverträgliches Verhalten in Naturräumen erfolgen, sowohl theoretisch in den jeweiligen Einrichtungen als auch praktisch z. B. bei Ausflügen zu außerschulischen Lernorten in der Natur. Und da Kinder und Jugendliche bekanntermaßen wichtige Multiplikatoren darstellen, werden hier vermittelte Kenntnisse und gewonnene Erfahrungen im Idealfall in die Elternhäuser weitergetragen. Generell ist eine breitere Umweltbildung der Gesellschaft anzustreben. Dieses Ziel verfolgt auch die vom LNV angestoßene „Initiative Artenkenntnis“, die dem schleichenden Verlust taxonomischen Wissens in der Gesellschaft entgegenwirken und in allen Teilen der Bevölkerung Kenntnisse über die heimische Tier- und Pflanzenwelt und Naturgüter vermitteln will. Weiterbildung und Etablierung entsprechender Angebote in bereits bestehende Aus- und Fortbildungsprogramme ist darüber hinaus im gemeindlichen Vollzugsdienst notwendig, um ihn kompetenter und beim Einschreiten gegen Verstöße unanfechtbarer zu machen.

Eine weitere Form der Aufklärungsarbeit können Flyer und Pressemitteilungen von Behörden (untere Naturschutzbehörden, Regierungspräsidien oder Verwaltungen von Großschutzgebieten) sein, die auf besonders schutzwürdige Landschaftselemente hinweisen und Ratschläge für ein umweltgerechtes Verhalten dort geben. Auch über Homepages von Naturschutzorganisationen, von Interessensvertretungen der Naturnutzenden sowie von Behörden über Schutzgebiete (Naturparke, Nationalpark, Biosphärengebiete, etc.) kann gezielt auf regionsspezifische Besonderheiten, auf zeitliche und räumliche Lenkungskonzepte und Verhaltensweisen hingewiesen werden. Als Beispiel sei hier die Initiative „Bewusst Wild“ [19] genannt, die darüber informiert, wie mit einfachen Verhaltensregeln (u. a. berechenbares Verhalten des Menschen für Wildtiere, veränderter Blick des Menschen auf die Wildtiere, stärkeres Interesse der Menschen an Wildtieren und ihrem Lebensraum) unnötige Störungen von Wildtieren durch Freizeitaktivitäten in der Natur vermieden werden können. Nicht zuletzt kann Aufklärungsarbeit auch direkt vor Ort erfolgen, z. B. über Informations-Tafeln oder unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel (Apps, QR-Codes, …).

Fazit

Mit dem stetig steigenden Besucherdruck auf die Natur während der letzten Jahrzehnte haben Interessenskonflikte zwischen NaturschützerInnen und NaturnutzerInnen sukzessive zugenommen, obwohl für beide Gruppen Natur einen hohen Stellenwert besitzt. Hammerich [20, S. 21] erkennt hier bereits im ausgehenden 20. Jahrhundert eine Polarisierung: „Um es verkürzt auf einen Nenner zu bringen: Für die einen soll Natur dem Menschen Freude bereiten und zu Aktivität anreizen, für die anderen ist die Natur vor dem Menschen zu schützen.“ Diese bis heute bestehenden Interessenskonflikte müssen gelöst werden, und der LNV will hierzu konstruktiv beitragen. Ein völliges Ausschließen des Menschen aus der Natur kann und darf nicht das Ziel des Naturschutzes sein, vielmehr bedarf es einer differenzierten Betrachtung und der Entwicklung einvernehmlicher Lösungen. Während in Naturschutzgebieten im buchstäblichen Sinn der Schutz der Natur Vorrang vor allen anderen Formen der Nutzung hat, muss gerade in Bereichen mit einem weniger strengen oder gar fehlendem Schutzstatus eine (gelenkte) Freizeitnutzung durch den Menschen möglich sein. Ein Naturschutz, der den Menschen aus der Natur aussperren will, geht an der Realität vorbei und ist unter Umständen sogar kontraproduktiv, weil sich der Mensch so immer weiter von der Natur entfremdet, anstatt für Naturschutzbelange sensibilisiert zu werden. Ziel muss es sein, differenzierte zeitliche und räumliche Lenkungskonzepte zu entwickeln, um eine möglichst umweltverträgliche Freizeitgestaltung in der Natur zu gewährleisten. Hierfür ist eine respekt- und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Interessensvertretungen des Naturschutzes und der Naturnutzung erforderlich, um über ausgewogene Maßnahmen die Akzeptanz solcher manchmal mühsam ausgehandelter Kompromisse zu erreichen. Das Problem, dass viele NaturnutzerInnen nicht organisiert und deshalb schwerer anzusprechen sind, als in Vereinen oder Verbänden organisierte Personen, besteht dabei zweifellos. Allerdings ist auch in diesem Personenkreis eine gewisse Sensibilisierung für Naturschutzbelange zu erwarten und die soziale Kontrolle innerhalb der Gruppen sollte nicht unterschätzt werden, sodass – gewissermaßen über Umwege – auch hier Lenkungsmaßnahmen greifen dürften.

Für den LNV ergeben sich folgende Forderungen an Politik und Verwaltung (einschließlich Kommunen) sowie Anbieter touristischer Angebote, die dazu beitragen können, negative Auswirkungen des Besucherdrucks in der Natur zu minimieren.

• Durchsetzung bestehender Gesetze durch schlagkräftigen Vollzugsdienst (Ranger, Naturschutzwarte, Feldhüter, etc.) mit adäquater finanzieller Ausstattung
• Entwicklung von zeitlichen und räumlichen Besucherlenkungskonzepten in Räumen mit hohem Besucherdruck
• Beeinflussung des Besucherverhaltens durch Umweltbildung und Aufklärungsarbeit, um Sensibilisierung für ein umweltverträgliches Verhalten in der Natur zu erreichen
• Ausbau attraktiver Angebote im ÖPNV, im Idealfall mit Bildungsangeboten während der Anfahrt
• Verbesserung des Parkraummanagements und der Überwachung
• Hinwirken auf ein striktes Einhalten gel-tender Gesetze und Betretungsgebote auf Plattformen wie Komoot, OSM, Instagram (gegebenenfalls durch technische Möglichkeiten wie Filterung und/oder Löschung von Inhalten)

Stuttgart 18.02.2023

Beschlossen vom LNV-Vorstand am 18.02.2023

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