Urbane Quartiere – Kurze Wege

LNV-Info 5/2016

Forderungen des LNV zum Städte- und Wohnungsbau

Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg e. V. (LNV) tritt dafür ein, den Bedarf an neuen Wohnungen und Gewerbeflächen innerhalb der bereits bestehenden Siedlungsfläche zu decken und dafür zu sorgen, dass dabei entsprechend den Zielen des „Aktionsbündnisses Flächen gewinnen“ dem Grundsatz Innenentwicklung vor Außenentwicklung Rechnung getragen wird.
Die Trennung von Wohnen und Arbeiten, wie sie bislang landauf landab bei der Orts- und Stadtentwicklung praktiziert wird, kann zukünftig nicht mehr das einzig geltende „Leitbild“ sein. Sie führt zu einem nicht vertretbaren Flächenverbrauch und steigert die Verkehrsbelastung. Die oft strikte Trennung wirkt sich nachteilig auf das alltägliche Zusammenleben der Menschen aus. Ihre Folgen beeinträchtigen die Artenvielfalt von Flora und Fauna und verursachen viele weitere Umweltschäden.
Um die Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren, sind künftig im Siedlungsbestand kompakte urbane Quartiere mit einem kleinteiligen und gleichberechtigtem Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten, Dienstleistungen, nicht wesentlich störenden Gewerbetrieben und Freizeitangeboten zu schaffen, wie sie heute noch verschiedentlich in den historischen Orts- und Stadtkernen anzutreffen ist. Die Bedeutung solcher Quartiere für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das Zusammenleben der Menschen wird bisher viel zu sehr unterschätzt. Ziel muss sein: Die Rückkehr zur Stadt der kurzen Wege. Das Strategiepapier „Neues Zusammenleben in der Stadt“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) vom 30. 10. 2015 – beschreibt die wichtigsten Grundsätze dieser neuen sozialverträglichen und umweltschonenden Stadtentwicklung. Sie gilt es umzusetzen.
Bisher wird das Feld der städtebaulichen Planung und Praxis von Bund und Land und den Städten und Gemeinden nur unzureichend bearbeitet. Vorhandene wissenschaftlich untermauerte Anleitungen werden oft nicht zur Kenntnis genommen oder sie werden in der Praxis nicht ausreichend beachtet.
Der LNV setzt sich dafür ein, dass rechtliche und sonstige Hindernisse, die der Schaffung gemischter urbaner Quartiere entgegenstehen, beseitigt werden.

Im Einzelnen fordern wir:

    • Wissenschaftliche Untersuchungen parallel zur Novelle der BauNVO, die von den zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder in Auftrag gegeben werden. Es soll untersucht und dargestellt werden, welche gesellschaftlichen und ökologischen Folgen die heute immer noch weit verbreitete Trennung von Wohnen, Produktion, Versorgung und Freizeit hat.
    • Die Einbeziehung eines neuen Baugebietstyp „Urbanes Mischgebiet“ in die Baunutzungsverordnung und eine Ausgestaltung des Immissionsschutzrechts, die das Konzepte eines gleichberechtigten Nebeneinanders von Wohnen und Arbeiten begünstigt. Dabei soll für die Wohnnutzung ein innenstadttypischer Lärmschutzstandard (wie im Mischgebiet nach BauNVO § 6) gelten, um so die flächensparende Innenentwicklung der Städte zu erleichtern.
    • Dienstleistungsbetrieben, Märkten und Gewerbebetrieben, die sich für die Stärkung des urbanen Quartiers eignen, sind künftig keine Flächen mehr im Außenbereich bestehender Siedlungen zu günstigen Baulandpreisen anzubieten.
    • Die Städtebauförderung (Sanierung, städtebauliche Entwicklung, Stadtumbau) soll auf solche Maßnahmen konzentriert werden, die hochwertig verdichtetes Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten stärken. Für eine solche Innenentwicklung geeignete Liegenschaften des Bundes, der Länder, der Bahn und der Post sollen den Kommunen zum entwicklungsunabhängigen Wert zur Verfügung gestellt werden. Das Eisenbahngesetz ist z.B. so zu ändern, dass Städte und Gemeinden für die Entwidmung nicht mehr benötigter Bahnliegenschaften antragsberechtigt werden.
    • In attraktiven Städten mit stark wachsender Bevölkerung und hohen Wohnkosten soll die Siedlung nicht mehr flächig ins Umland ausgeweitet werden. Ziel muss vielmehr sein, in diesen Fällen neues Bauen dezentral schwerpunktartig zu bündeln. Auch dort sind – vorzugsweise an regionalen Bahnstrecken – urbane Orte mit Wohnen, Gewerbe, Handel und Freizeiteinrichtungen zu schaffen. Diese Neuorientierung ist in erster Linie Aufgabe der Raumordnung und Regionalplanung.
  • Der LNV verweist auf die einschlägigen Vorschriften des Baugesetzbuches (BauGB §1a Absatz 2), die vorschreiben, dass mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden soll.

    Danach „sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für die bauliche Nutzung die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinden insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen der Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversieglungen auf das notwendige Maß zu begrenzen…. Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll begründet werden; dabei sollen Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zu Grunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten zählen“.

    Wie die Praxis zeigt, werden diese Vorschriften von den Gemeinden und den für die Genehmigung der Bauleitpläne zuständigen Behörden – zu wenig beachtet.
    Aus der Sicht des LNV müssen für die Durchsetzung eines zukunftsorientierten Städtebaus künftig die Vorschläge, die die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestages schon im Jahr 1998 gemacht hat, endlich in Angriff genommen werden.

    Zu den wichtigsten Forderungen gehören:

    • Stärkung der Regionalplanung (Modell Verband Region Stuttgart)
    • Grundsteuerreform im Sinne der kombinierten Bodenwert- und Bodenflächensteuer
    • Abschaffung der Grunderwerbsteuer für den kommunalen Zwischenerwerb
    • Abschaffung der Kilometerpauschale, zumindest aber deren degressive Ausgestaltung
    • Städtebauförderung nur für Innenentwicklung; als besonderer Anreiz ist für neue Quartiere mit gemischter Nutzung und mit kurzen Wegen ein separates Förderkontingent vorzusehen.
  • Der LNV fordert die Landesregierung auf, in der neuen Legislaturperiode in diesem Sinne tätig zu werden.

    Stuttgart 27.06.2016
    Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg e. V.

    Fußnote:
    (1) Ausführungen im Baukulturbericht 2014/15 der Bundesstiftung Baukultur im Kapitel Wohnen und gemischte Quartiere, S. 62ff.
    (2) Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“ Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode, Drucksache 13/11200 vom 26. 06 1998 Seite 126 ff.

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